Gesundheitswesen 2014; 76 - A122
DOI: 10.1055/s-0034-1386972

Verstärkung von physiologischen Stressreaktionen und Beanspruchungserleben durch kognitive Präsenz stressrelevanter Themen nach experimentell induziertem Stress

M Stoffel 1, K Neuheuser 1, L Neumann 1
  • 1Technische Universität Darmstadt, Fachbereich Humanwissenschaften, Institut für Psychologie, Darmstadt

Einleitung: Stressbedingte Erkrankungen nehmen in den letzten Jahren stetig zu. Psychobiologische Modelle, wie die Konzepte der neurobiologischen Stressachsen, erklären inzwischen hinreichend, wie sich Stress direkt auf die Gesundheit auswirken kann. Bisherige Forschung zur Entstehung dieser Erkrankungen fokussiert sich jedoch hauptsächlich auf die Qualität und die Quantität der stressauslösenden Faktoren. Eine Vielzahl von Publikationen und Medienberichten stellen die negativen Folgen und die generelle Anfälligkeit für Stress in der modernen Gesellschaft in den Vordergrund. Die Wirkung dieser Informationsvermittlung auf die Stresswahrnehmung und die resultierenden physiologischen Reaktionen ist bisher nicht erforscht. Dabei belegen einige Publikationen, dass die Wahrnehmung von Stress bei anderen Personen zu mehr Stress bei der wahrnehmenden Person selbst führen („crossover-contagion“) sowie intrapersonell von einem Lebensbereich in den anderen übertragen werden kann („spillover-contagion“) [1]. Der Transfer dieses Konstrukts auf extern vermittelte Informationen über die „gestresste Gesellschaft“ und die Anfälligkeit jedes Einzelnen könnte ein wichtiger Faktor zur Erklärung stressbedingter Erkrankungen sein.

Methode: Die aufgestellten Annahmen sollen in einem laborexperimentellen Versuchsaufbau unter Einhaltung höchster methodischer Standards mit einem Experimental- und Kontrollgruppendesign an einer studentischen Stichprobe überprüft werden. Die Vermittlung von Informationen über Stress (Experimentalgruppe) und die Vermittlung nicht stressrelevanter Informationen (Kontrollgruppe) soll auditiv erfolgen. Der Stressor (PASAT), welcher nach der Informationsvermittlung zum Einsatz kommt, gilt als zuverlässiger und ethisch unbedenklicher Auslöser für physiologischen und psychologischen Stress. Zur Messung der Stressreaktion werden physiologische Parameter wie Hautleitfähigkeit, Elektrokardiogramm und sekretorisches Immunglobulin A aus dem Speichel herangezogen. Sekretorisches Immunglobulin A ermöglicht es, neben unmittelbaren Rückschlüssen auf das physiologische Stressniveau, Aussagen über mögliche Langzeiteffekte von Stress auf das Immunsystem zu treffen. Weiterhin kommen Fragebögen zum Einsatz, um das Beanspruchungserleben nach dem induzierten Stress erfassen zu können.

Ergebnisse: In dieser Studie sollen physiologische Stressreaktionen und Beanspruchungserleben zunächst statistisch-deskriptiv beschrieben werden. Es folgt eine weitere statistische Verarbeitung der Daten, welche einen Vergleich der Ausprägung der abhängigen Variablen zwischen den Gruppen auf signifikante Unterschiede zur Folge hat. Annahme ist, dass sich alle Parameter signifikant zwischen den Gruppen unterscheiden. Aufgrund der hohen methodischen Güte des Laborexperiments sind gefundene Unterschiede nur auf die Gruppenzugehörigkeit zurückführbar.

Schlussfolgerungen: Signifikante Ergebnisse hätten weitreichende Folgen für den Umgang mit dem Thema „Stress“ in der Gesellschaft. Die seit Jahrzehnten andauernde Informationsvermittlung, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, präventiv zu wirken, müsste neu bewertet werden. Vordergründig wären die Auswirkungen auf physiologische Parameter wie Immunglobulin A, welche direkt in Zusammenhang mit der Entstehung von körperlichen und psychischen Erkrankungen gebracht werden können. Besonders weitreichende Folgen wären demnach im Arbeits- und Organisationskontext sowie im Bereich Public Health und in der klinisch-psychologischen Behandlung von Stresserkrankungen zu erwarten. Die Vermittlung von Informationen über Stress müsste so modifiziert werden, dass sie sich nicht schädlich auf das Erleben von Stressoren auswirkt. Weiterhin könnten Interventionen entwickelt werden, die den beschriebenen negativen Folgen entgegenwirken. Auch die Ausweitung des Konzepts auf die interindividuellen Mechanismen der Stresswahrnehmung und Stressvermittlung könnte in weiteren Studien evaluiert werden.