Gesundheitswesen 2014; 76 - A183
DOI: 10.1055/s-0034-1387033

Versorgungsstand und -bedarf von affektiven Störungen in der Region Magdeburg (Sachsen Anhalt) vor dem Hintergrund des demografischen Wandels

C Stallmann 1, I Beerlage 2
  • 1Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg
  • 2Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen, Hochschule Magdeburg-Stendal, Magdeburg

Hintergrund: Affektive Störungen sind mit einer Lebenszeitprävalenz von 19% die am häufigsten auftretenden psychischen Störungen – den größten Anteil darunter machen mit 17% die unipolaren Depressionen aus [1,2]. Insbesondere im Alter gehören Vereinsamungsprozesse und der Verlust familiärer Strukturen zu den Risikofaktoren für die Entwicklung einer Depression. Europaweit kommen dabei lediglich 1/3 aller von affektiven Störungen Betroffenen mit dem Versorgungssystem in Berührung, von denen weniger als die Hälfte (45,8%) adäquat behandelt wird [3,4]. 90% aller Suizide werden in Folge einer Depression begangen – davon 33% von Menschen über 65 Jahren [5,6,7]. Sachsen-Anhalt (ST) gehört, neben Sachsen und Thüringen, zu den Bundesländern mit den traditionell höchsten Suizidraten [8]. Im Jahr 2009 wurde für ST mit 15,28 Suiziden/100.000 Einwohnern die höchste Suizidrate aller Bundesländer verzeichnet [6,7]. Mittlerweile liegen verschiedene Hinweise darauf vor, dass ST zu den Bundesländern mit der schlechtesten Versorgung depressiver Menschen zählt [9].

Ziel: Angesichts des demografischen Wandels mit einer zunehmenden Zahl älterer und alter Menschen war es das Ziel, eine Ist-Analyse der Versorgungslage und -bedarfe bei affektiven Störungen in ST und insbesondere in der Region Magdeburg durchzuführen. Daraus sollten Handlungsempfehlungen für Forschung, Politik und Praxis in ST abgeleitet werden.

Methoden: Für die umfassende Darstellung des Versorgungsgeschehens und -bedarfs wurde eine Triangulation qualitativer und quantitativer Methoden vorgenommen. Zum einen wurden sozialepidemiologische Daten zur Prävalenz affektiver Störungen sowie Daten zur Versorgungsstruktur in ST analysiert. Insbesondere für die Bevölkerungsgruppe der älteren und alten Menschen im Land wurden die Schwerpunkte Depressionen und Suizidalität betrachtet. Zum anderen wurden Versorgungsstand und bedarf bei affektiven Störungen in der Region Magdeburg aus Sicht ausgewählter Akteure im Hilfesystem eruiert. Hierzu wurden leitfadengestützte Experteninterviews mit Betroffenen, Kostenträgern und Leistungserbringern durchgeführt. Diese wurden qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet.

Aktuelle Initiativen und Projekte in der Region Magdeburg, die sich mit der Prävention psychischer Störungen und der Arbeit mit Betroffenen befassen, wurden recherchiert und in ihren Zielen und Handlungsansätzen analysiert.

Anhand dieser Daten wurde eine Gegenüberstellung von Versorgungsstand und Versorgungsbedarf vorgenommen. Die Ergebnisse wurden hinsichtlich Ihrer potenziellen Bedeutung für die Versorgung Betroffener bewertet.

Ergebnisse: Während das Defizit in der stationären Versorgung von psychischen Störungen bei Erwachsenen in ST abgebaut wurde, liegt die Bettenzahl im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie über dem Bundesdurchschnitt. Zum Angebot von gerontopsychiatrischen Betten liegen keine Daten vor. Dem gegenüber ist, über alle Altersgruppen hinweg, ein erhebliches Defizit in der ambulanten und komplementären Versorgung festzustellen. Insbesondere in ländlichen Gebieten fehlten Hausärzte und Psychotherapeuten. Dies schlägt sich auch in den Wartezeiten auf ein psychotherapeutisches Erstgespräch nieder. Betroffene berichteten von Wartezeiten bis zu einem Jahr. Vorhandene Hilfsangebote, zu denen überwiegend der Hausarzt Zugang eröffnet, werden erwartungsgemäß häufiger von Frauen wahrgenommen.

Diskussion: Der Versorgungsbedarf bei affektiven Störungen wird in ST nicht vollständig gedeckt. Psychische Gesundheit muss im Land als eigenständiges, prioritäres Handlungsfeld im Rahmen der Gesundheitsziele erkannt und bearbeitet werden. Komplementäre Hilfsangebote sind auszubauen. Insbesondere im Bereich der ambulanten und stationären Pflege herrscht noch große Unkenntnis über die tatsächliche Prävalenz affektiver Störungen. Forschungs- und Bildungsinitiativen sollten sich diesem Bereich verstärkt widmen. Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen zur Entstigmatisierung sowie eine bessere Vernetzung der bereits aktiven Akteure sollen angestrebt werden.