Gesundheitswesen 2014; 76 - A193
DOI: 10.1055/s-0034-1387043

Auswirkungen der Energiewende auf die Gesundheit – kein Thema für Public Health?

R Sutcliffe 1, E Orban 1, K McDonald 1, S Moebus 2
  • 1Zentrum für Urbane Epidemiologie, Institut für medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Universität Duisburg-Essen, Essen
  • 2Universitätsklinikum Essen, Essen

Hintergrund: Ein erklärtes Ziel der deutschen Energiewende ist die Ablösung nuklearer und fossiler Energieträger durch erneuerbare Energien. Dies erfordert einen umfassenden Umbau des gesamten Energiesystems. Damit verbundene fundamentale technologische und strukturelle Änderungen werden in allen gesellschaftlichen Bereichen Auswirkungen zeigen. Bereits vielfach untersucht wurden die ökonomischen und umweltbezogenen positiven und negativen Auswirkungen der Energiewende mit Fokus auf den Bereichen erneuerbare Energien (Strom, Wärme), Verkehr, Mobilität, Bauen und Recycling. Aus Sicht des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes müssen frühzeitig auch diejenigen Chancen und Risiken für die menschliche Gesundheit identifiziert werden, die aus den energiepolitischen Entwicklungen resultieren.

Ziel eines vom Umweltbundesamt finanzierten Literaturgutachtens war, den aktuellen Sachstand zu Wechselwirkungen und möglichen Zielkonflikten zwischen Energiewende und Gesundheit aufzuarbeiten und außerdem zu identifizieren, ob und in welchem Ausmaß das Thema Gesundheit im Zusammenhang mit der Energiewende thematisiert wird.

Methoden: Eine Eingrenzung der vielfältigen Themenfelder der Energiewende erfolgte auf der Basis eines Strukturmodells (Driving forces, Pressure, State, Exposure, Effect, Action). Somit konnten verschiedene Komponenten von Umwelt und Gesundheit im Sinne einer Wirkungskette aufgezeigt und den Themenfeldern der Energiewende zugeordnet werden. Eine Literaturrecherche, die sowohl Online-Informationsportale nationaler und internationaler Institutionen (graue Literatur) als auch wissenschaftliche Datenbanken umfasste wurde durchgeführt. Berücksichtigt wurden Publikationen im Zeitraum 2000 – 2013. Als Suchbegriffe dienten verschiedene Begriffe und Begriffskombinationen aus den Bereichen Energiewende, Umwelt und Gesundheit. Über vorab definierte Auswahlschritte identifizierten zwei Gutachterinnen relevante Publikationen in englischer und deutscher Sprache und ordneten sie definierten Themengebieten zu.

Ergebnisse: Von über 7.800 anfangs identifizierten Publikationen wurden 21 Studien, 19 Reviews und 32 Berichte als relevant für eine weitergehende Analyse ausgewählt. Insgesamt lässt sich feststellen, dass (a) Maßnahmen und Technologien der Energiewende in Deutschland vielfach thematisiert werden vor allem in Berichten nationaler und internationaler Institutionen, nicht aber in wissenschaftlichen Publikationen; (b) insbesondere werden die positiven Auswirkungen der Energiewende auf die Umwelt hervorgehoben. Diese beruhen hauptsächlich auf Life Cycle Assessments, bei denen Emissionswerte technologischer Verfahren quantifiziert und zu einer Umweltbilanz zusammengefasst werden; (c) Gesundheit im Rahmen der Energiewende – wenn überhaupt – überwiegend nur implizit thematisiert wird: wenige Veröffentlichungen wurde identifiziert, die die direkten Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung untersucht haben. Lediglich bei Einzelthemen, hauptsächlich Gebäudesanierung (z.B. Schimmelexposition) und Windenergie (z.B. Lärm/Infraschall), sind erste gesundheitsbezogene Untersuchungen zu finden; (d) Auffallend ist, dass in Deutschland die Energiewende und die damit verbundenen Chancen und Risiken für die menschliche Gesundheit der Bevölkerung bislang von Public Health Seite oder nationalen und lokalen Gesundheitsbehörden nicht sichtbar aufgegriffen worden ist.

Fazit: Bei den hier analysierten Publikationen zur Energiewende stehen umweltbezogene Aspekte im Vordergrund. Gesundheit ist implizit in den Ökobilanzen enthalten, explizit aber kaum thematisiert. Die Notwendigkeit der Vernetzung mit dem Gesundheitsbereich wird deutlich. Durch die Integration des etablierten Instrumentes eines Health Impact Assessment (HIA) in die Energie- und Ressourcenpolitik können gesundheitliche Folgeabschätzungen verschiedener Technologien und Maßnahmen quantitativ und qualitativ vorausschauend bestimmt werden und damit das Verständnis von Gesundheit in der Energiepolitik und die Zusammenarbeit unterschiedliche Entscheidungsträger gestärkt werden.