Zwar ist die allogene Stammzelltransplantation das einzige kurative Therapiekonzept
für Patienten mit myelodyplastischen Syndromen, allerdings ist diese aufgrund des
meist höheren Patientenalters und insbesondere der oft bestehenden Komorbiditäten
nur für wenige Patienten eine Option.
Kommt eine allogene Stammzelltransplantation nicht in Frage richtet sich das weitere
therapeutische Bemühen nach dem den Erkrankungen inne wohnenden Risiken für die Transformation
in eine akute myeloische Leukämie (AML). So steht bei Patienten mit einem hohen Risiko
für einen Progress in eine AML die Modulation des biologischen Verlaufs der Erkrankung
im Vordergrund. Typischerweise zählen hierzu die Patienten mit einem erhöhten medullären
Blastenanteil und vor allem diejenigen Patienten mit prognostisch ungünstigen chromosomalen
Veränderungen wie den komplex aberranten Karyotypen. Für diese Patienten stellt 5-Azacytidin
als demethylierende Substanz eine wirksame und zugelassene Therapieoption dar [1]
(s. Abschnitt „Spezifische Therapien“).
Bei der Mehrheit der Patienten mit einem niedrigen Transformationsrisiko steht die
supportive Therapie mit Linderung der Zytopenien im Vordergrund. Dabei steht mit Lenalidomid
eine wirksame Substanz für die Patienten zur Verfügung, bei denen ein MDS mit einer
isolierten Deletion (5q) und einem medullären Blastenanteil von unter 5% vorliegt.
Circa 60% der mit Lenalidomid behandelten Patienten werden unter einer Therapie transfusionsfrei
[2]. Allerdings kommen entsprechend der Zulassung nur maximal 5% aller MDS-Patienten
für eine solche Therapie in Frage (s. Abschnitt „Spezifische Therapien“).
Bei Patienten mit Anämie oder Transfusionsbedürftigkeit, die nicht mit Lenalidomid
behandelt werden können, kann ein Therapieversuch mit erythropoese-stimulierenden
Faktoren (ESF), wie rekombinanten Erythropoetinen und/oder Granulozyten-Kolonie-stimulierender
Faktor (G-CSF) erwogen werden. Es wurde inzwischen eine Vielzahl von Studien zur Wirksamkeit
von ESF bei Patienten mit MDS publiziert, bei denen es sich mehrheitlich um nicht
randomisierte Single-Center-Studien mit kleineren Fallzahlen handelte, die sich deutlich
bezüglich der eingesetzten Substanzen und Dosierungen, den Applikationsschemata aber
auch den Kriterien zur Responseevaluation unterschieden. Dennoch konnte aus den Studien
abgeleitet werden, dass insbesondere diejenigen Patienten von einer solchen Therapie
profitieren, die eine niedrige Transfusionsfrequenz (< 2 Erythrozytenkonzentrate pro
Monat) und einen niedrigen endogenen Erythropoetin-Spiegel aufwiesen (< 500 U/l).
Unter Berücksichtigung dieser Parameter können durch Anwendung des sog. „Nordic-Score“
Patienten mit einer hohen (ca. 75%), einer mittleren (ca. 25%) und einer geringen
Wahrscheinlichkeit (< 10%) für ein erythoides Ansprechen identifiziert werden [3].
Für die praktische Routine bietet dieser Score eine hilfreiche Orientierung.
Bei anämischen Patienten steht im Falle eines ESF-Versagens oder einer geringen Wahrscheinlichkeit
für ein Ansprechen zunächst die bedarfsgerechte Transfusion von Erythrozytenkonzentraten
im Vordergrund. Wiederholte Transfusionen führen unweigerlich zu einer sekundären
Eisenüberladung, die das Risiko von Organschäden birgt. Die Eisenchelation ist daher
zu einer gängigen – aber auch kontroversen – Säule in der supportiven Behandlung von
MDS-Patienten geworden und wird ausführlich im Abschnitt „Spezifische Therapie“ behandelt.
Patienten mit Niedrig-Risiko-MDS und Thrombozytopenie haben ein erhöhtes Risiko für
Blutungskomplikationen, wobei die Inzidenz fataler Blutungen trotz oft schwerer Thrombozytopenien
erfreulicherweise eher gering ist. Neben dem Management der Thrombozytopenien an sich
stellen im praktischen Alltag immer wieder jene Patienten eine besondere Herausforderung
dar, die aufgrund bestehender Komorbiditäten (z.B. intermittierendes Vorhofflimmern,
eine künstliche Herzklappe und/oder Z.n. TVT oder LAE) einer Vollantikoagulation bedürfen.
Hier ist es oft schwierig einer ausreichenden Antikoagulation einerseits und dem Vermeiden
von Blutungskomplikationen andererseits Rechnung zu tragen.
Aktuell stehen für MDS-Patienten mit schwerer Thrombozytopenien keine zugelassenen
Substanzen zur Verfügung. Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten wie Romiplostim und Eltrombopag
sind wirksam in der Stimulation der Thrombopoese bei Patienten MDS und Thrombozytopenien
[4,5]. Der Nachweis, dass sich durch eine Behandlung mit einer der beiden Substanzen
fatale Blutungsereignisse vermeiden lassen, muss jedoch erst noch erbracht werden.
Infektionen stellen eine der wesentlichen Ursachen von Morbidität und Mortalität von
Patienten mit Niedrig-Risiko-MDS dar. Belastbare Daten zum Einsatz von G-CSF bzw.
GM-CSF zur Reduktion von Infektionen bei MDS-Patienten mit Neutropenie liegen bisher
nicht vor, so dass der Einsatz nicht grundsätzlich empfohlen wird. Darüber hinaus
ist die Datenlage zur antiinfektiven Prophylaxe mit antibakteriellen und/oder antimykotischen
Substanzen bei neutropenen MDS-Patienten desolat. Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich,
dass aktuell keine Studien existieren, die sich diesen klinisch relevanten Fragen
annehmen.
Grundsätzlich sollte bei Patienten, für die keine zugelassenen Substanzen zur Verfügung
stehen, der Einschluss in eine Therapiestudie erwogen werden. Zwar ist nicht damit
zu rechnen, dass es das „Imatinib der myelodysplastischen Syndrome“ geben wird, dazu
sind die MDS zu heterogen in ihren molekularen Pathomechanismen. Dennoch sind inzwischen
verschiedene molekulare Veränderungen identifiziert, die als potenzielle Marker für
therapeutische Subgruppen fungieren könnten oder idealerweise als Zielstrukturen für
innovative Substanzen.
Literatur:
[1] Fenaux, P., et al., Efficacy of azacitidine compared with that of conventional
care regimens in the treatment of higher-risk myelodysplastic syndromes: a randomised,
open-label, phase III study. Lancet Oncol, 2009. 10(3): p. 223-32.
[2] Fenaux, P., et al., A randomized phase 3 study of lenalidomide versus placebo
in RBC transfusion-dependent patients with Low-/Intermediate-1-risk myelodysplastic
syndromes with del5q. Blood, 2011. 118(14): p. 3765-76.
[3] Hellstrom-Lindberg, E., et al., Erythroid response to treatment with G-CSF plus
erythropoietin for the anaemia of patients with myelodysplastic syndromes: proposal
for a predictive model. Br J Haematol, 1997. 99(2): p. 344-51.
[4] Giagounidis, A., et al., Results of a randomized, double-blind study of romiplostim
versus placebo in patients with low/intermediate-1-risk myelodysplastic syndrome and
thrombocytopenia. Cancer, 2014. 120(12): p. 1838-46.
[5] Oliva E, et al., Efficacy and safety of eltrombopag for the treatment of thrombocytopenia
of low and INT-1 MDS: preliminary results of a prospective randomized, single-blind
placebo controlled trial. Haematologica, 2012. 97(suppl1): p. 470 [abstract 1138].