Der Klinikarzt 2014; 43(07/08): 335
DOI: 10.1055/s-0034-1393682
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Achtung: Fraueninvasion im Krankenhaus!

Matthias Leschke
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
11. September 2014 (online)

Wir Mediziner, so heißt es, seien keine besonderen Liebhaber unserer Historie. Dennoch lohnt sich zuweilen der Blick zurück. Am 24. April 1899 beschloss der Bundesrat, dass in Deutschland künftig auch Frauen zu den Staatsprüfungen der Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie zugelassen werden sollten. Ja, einst war das medizinische Hochschulfach nicht für das weibliche Geschlecht gedacht. Und trotz dieses Beschlusses sperrte sich die akademische Männerwelt vehement gegen das weibliche Eindringen in das ärztliche Gewerbe. Erst ab dem Wintersemester 1908/09 konnten sich Studentinnen an preußischen Universitäten zum Studium der Medizin einschreiben. Die Männerwelt ging freilich in ihrem Selbstbewusstsein davon aus, dass die Frau in der Medizin eine Ausnahme bleiben würde. Mehr Frauen in medizinischen Berufen, so waren sich die doctores einig, müssten das Niveau des ärztlichen Standes unweigerlich gefährden. Die Männerwelt war sich noch lange darin einig, dass der Frau die Rolle der Gebärerin, der Hüterin des Hausstandes und liebevollen Dienerin des Gatten zugewiesen war. Sozusagen von der Natur. Exponierte Berufe traute man der Frau ohnehin nicht zu. Das galt beispielsweise auch für Schriftstellerinnen, die ihre Romane nur unter männlichem Pseudonym auf den Markt bringen konnten. Frauen in der Heilbranche duldete man höchstens als Kräuterhexen, Pflegerinnen und Hebammen. Arzt war eben von alters her ein Männerberuf. Bis weit in die 1890er Jahre hinein erregte selbst im Reichstag die Erwähnung eines weiblichen Arztes große Heiterkeit.

Man fragt sich heute, woher wir Männer uns das Recht nahmen, den Frauen das Arztsein streitig zu machen? Sicher, die Zeiten ändern sich und zwar gehörig. Heute erobern die Frauen immer weitere berufliche Bastionen, in allen Bereichen, von der Politik über das Unternehmertum bis zur Medizin. Im Jahr 2005 waren von den 70 696 Studierenden der Humanmedizin in Deutschland 43 086 weiblichen Geschlechts. Selbst in Fachbereichen, die man traditionsgemäß immer noch eher mit dem männlichen Geschlecht assoziiert, etwa in der Chirurgie oder dem noch relativ neuen Ressort der Andrologie, betätigen sich mittlerweile auch Frauen mit beachtlichem Erfolg. Die Medizin wird mit beinahe dramatischem Tempo immer weiblicher; männliche Ärzte befinden sich auf dem Rückzug.

Heute sind zwei Drittel aller Studienanfänger in der Humanmedizin Frauen. Für das Jahr 2011 ermittelte die Kassenärztliche Bundesvereinigung 45 % berufstätige Ärztinnen.

In meiner kardiologischen Klinik habe ich, über den Daumen gepeilt, 70 % Ärztinnen. Der Arztberuf ist heute bei den jungen Frauen begehrt, auch wenn später viele nicht dauerhaft in Klinik oder Praxis streben, sondern sich ins Ausland „flüchten“ oder in pharmazeutische Bereiche ausweichen. Doch woran liegt die „Frauenschwemme“? Irgendwie sind Frauen strebsamer, nehmen ihre Aufgabe ernster. Viele schaffen exzellente Abitursnoten und haben damit klare Vorteile auf die begehrten Studienplätze der Humanmedizin gegenüber ihren männlichen Bewerbern. Das mag damit zusammenhängen, dass Frauen ihre pubertäre Phase früher hinter sich lassen, wohingegen Männer unter diesen Folgen noch ein paar Jahre länger leiden.

Frauen bekommen einem Ärzteteam in der Klinik in der Regel gut. Der Umgangston unter den Kollegen ist offener, freundlicher. Offenbar nehmen sich Männer in ihrer Machokomponente eher zurück, wenn mehrere Frauen im Team sind. Vielleicht will man als Mann bei den Kolleginnen um Sympathie punkten. Das funktioniert besser mit Höflichkeit und Anstand. Frauen schreibt man mehr Empathie zu, schließlich sind Pflegekräfte in der Mehrzahl Frauen. Männliche Pfleger haben es schwerer, sich ins Herz der Patienten zu spielen. Patienten lassen sich lieber von einer „Schwester“ führen. Und eine Frau als Arzt steht dem Kranken oftmals näher. Die Distanz zum Arzt fällt da geringer aus. Und wahrscheinlich kommen bei männlichen Patienten Ärztinnen ohnehin besser an, dazu noch, wenn sie jung und hübsch sind.

Allerdings ist nur jede zehnte Position aller leitenden Klinikärzte der Statistik zufolge mit einer Frau besetzt. Der Grund liegt auf der Hand: Frauen haben trotz ihrer Ausdauer während der Ausbildung meist einen anderen Lebensentwurf. Sie wollen Kinder, sie gründen eine Familie. Das ist eine zusätzliche Belastung. Da wird pausiert, man steigt aber wieder in den Beruf ein, wenn die Kleinen nicht mehr so klein sind. Doch eine Chefposition heute zu erlangen, erfordert mehr als ärztliches Engagement und Wissen. Chefs sind heute als knallharte Manager gefordert, um in solche Positionen überhaupt zu gelangen und dann auch noch zu überleben. Die medizinische Aufgabe rückt da, seien wir ehrlich, in den Hintergrund. Chefs müssen stets darauf bedacht sein, an der ökonomischen Front zu reüssieren und sich gegen ihre betriebswirtschaftlichen Vorgesetzten zu behaupten. Zudem, die irre Bürokratie des Klinikbetriebs begeistert Frauen wenig. Sie wollen den Menschen helfen. Deshalb stehen Sie dem Sprung in die eigene Praxis viel offener gegenüber.

Ein Problem am Ende sei nicht verschwiegen. Viele Ärztinnen arbeiten in Teilzeit. Und dies ist eine echte Herausforderung für die Chefs in den Kliniken, viele kleine „Arbeitseinheiten“ zu einem großen Ganzen zu komponieren. Zahlreiche Informationen müssen problemlos fließen. Und Patienten erwarten zurecht einen Ansprechpartner und sind unglücklich, wenn die Assistenz- oder Stationsärztinnen häufig wechseln.

Übrigens glaube ich fest daran, dass Frauen auch konsequent Chefpositionen erobern werden. Wir kennen in Deutschland einige Frauen als Chefs, die trotz Mann und Kinder, ihre Spitzenposition behaupten und gelegentlich sogar allmächtige Klinikmanager in die Schranken weisen. Für diese Frauen steht das Patientenwohl an erster Stelle. So wie sie sich in der Geschichte ihre Rolle als Ärztinnen hart erkämpfen mussten, so konsequent und hartnäckig setzen sie auch in Chefpositionen ihr ärztliches Ethos durch. Darüber können wir Männer uns eigentlich nur freuen.