neuroreha 2014; 06(04): 153-154
DOI: 10.1055/s-0034-1396335
Aktuelles aus der Forschung
Gelesen und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kognitive Langzeitfolgen bei chronisch kritisch Kranken

Jan Mehrholz
1   Private Europäische Medizinische Akademie der Klinik Bavaria in Kreischa GmbH, An der Wolfsschlucht 1–2; 01731 Kreischa
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
03 December 2014 (online)

Zusammenfassung der Studie

Ziele

Ziel der Studie war es, Delirium und kognitive Langzeitfolgen von chronisch kritisch Kranken nach Aufenthalt auf einer Intensivstation zu evaluieren (The Bringing to Light the Risk Factors and Incidence of Neuropsychological Dysfunction in ICU Survivors [BRAIN-ICU] Study).


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Methodik

Design

Kohortenstudie


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Ein- und Ausschlusskriterien

Eingeschlossen wurden beatmungspflichtige Patienten und Patienten nach kardiogenem oder septischem Schock von medizinischen bzw. chirurgischen Intensivstationen (ITS). Beatmungspflichtigkeit wurde in dieser Studie sowohl als invasive, nicht invasive Beatmung als auch alleinige zusätzliche Sauerstoffgabe über Maske bzw. Schlauch verstanden.

Ausgeschlossen wurden Patienten, die bereits in den letzten beiden Monaten einmal beatmet werden mussten oder schon einmal im Aufnahmemonat mehr als fünf Tage auf einer ITS verbrachten. Ausgeschlossen wurden auch Patienten, bei denen kognitive Tests aufgrund von Sprachverständnis- oder Sehstörungen, Taubheit u. Ä. nicht zuverlässig durchgeführt werden konnten. Auch Patienten mit bereits bestehenden kognitiven Defiziten, sterbende Patienten sowie weit entfernt wohnende Patienten wurden ausgeschlossen.


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Risikofaktoren

Erhoben wurden zwei wesentliche Risikofaktoren: zum einen die Dauer eines Deliriums (definiert als die Anzahl Krankenhaustage mit Delirium) und zum anderen sedative bzw. analgesierende Medikamentengabe während des ITS-Aufenthalts. Geschultes Personal evaluierte bis zur Entlassung bzw. bis zum 30. Behandlungstag das Delirium (gemessen mit dem Confusion Assessment Method for the ICU [CAM-ICU]) und den Sedierungsgrad (mittels Richmond Agitation-Sedation Scale [RASS]). Ebenfalls wurden die gegebenen Medikamente dokumentiert.


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Kognitive Messungen

Geschulte Psychologen evaluierten die globale Kognition der Patienten nach drei und nach zwölf Monaten nach Entlassung. Genutzt wurde die Repeatable Battery for the Assessment of Neuropsychological Status (RBANS), eine validierte neuropsychometrische Batterie zur Messung globaler Kognition. Der RBANS beinhaltet individuelle Domänen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit, des räumlichen Vorstellungsvermögens und der Sprache. Die altersadjustierten Normwerte des RBANS Global Cognition Score betragen 100 ± 15 Punkte (höhere Werte indizieren bessere Ergebnisse). Exekutive Funktionen wurden mit dem Trail Making Test, Part B (Trails B) erhoben (geschlechts- und altersadjustierte Normwerte bei 50 Punkten).


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Ergebnisse

Es wurden zwischen 2007 und 2010 insgesamt 826 zumeist sehr schwer betroffene Patienten in die Studie eingeschlossen. Das mittlere Alter war 61 Jahre. Nur 6 % der Patienten hatten nachweislich vor dem Krankenhausaufenthalt kognitive Einschränkungen. Während des ITS-Aufenthalts hatten 74 % ein Delirium, die mittlere Dauer des Deliriums betrug vier Tage. In den ersten drei Monaten nach Studienaufnahme starben 31 % der Patienten; von den verbleibenden Patienten (569) konnten 79 % (448) nach drei Monaten kognitiv nachuntersucht werden. Weitere 7 % starben im 12-Monats-Intervall. Insgesamt 382 Patienten wurden nach einem Jahr nachuntersucht.

Nach drei Monaten hatten 40 % der Patienten Werte in der globalen Kognition, die 1,5 Standardabweichungen unter dem Populationsmittel lagen (vergleichbar mit Werten von Patienten nach moderatem Schädel-Hirn-Trauma). Nach drei Monaten hatten 26 % der Patienten Werte, die zwei Standardabweichungen unter dem Populationsmittel lagen (vergleichbar mit Werten für Patienten mit milder Alzheimer-Erkrankung). Die Ergebnisse fanden sich sowohl bei jüngeren wie bei älteren Patienten. Darüber hinaus hielten sich die schlechten kognitiven Ergebnisse bei 34 % bzw. 24 % aller Patienten bis zu einem Jahr nach Entlassung.

Ein länger andauerndes Delirium war unabhängig und signifikant mit schlechter globaler Kognition und schlechter exekutiver Funktion assoziiert. Die Gaben von Sedativa und Analgetika waren dagegen nicht konsistent mit kognitiven Einschränkungen im Langzeitverlauf assoziiert.


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Schlussfolgerung

Patienten von Intensivstationen haben ein hohes Risiko für kognitive Einschränkungen im Langzeitverlauf. Je länger das Delirium im Krankenhaus, umso schlechter scheinen sowohl die globale Kognition als auch die exekutive Funktion nach drei und zwölf Monaten zu sein.


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  • 1 Pandharipande PP, Girard TD, Ely EW. Long-term cognitive impairment after critical illness. N Engl J Med 2014; 370 (2) 185-186