Gesundheitswesen 2015; 77(12): e179-e183
DOI: 10.1055/s-0034-1398592
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Überversorgt? Unterversorgt? – die Sicht von Bürgermeistern in Baden-Württemberg: Ein Beitrag zur Diskussion um die wohnortnahe medizinische Versorgung

Oversupplied? Undersupplied? – The Perspective of Local Governments of the Federal State of Baden-Württemberg: A Contribution to the Discussion of Close-to-Home Health Care
L. R. S. Scheidt
1   Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg
,
S. Joos
1   Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg
2   Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen
,
J. Szecsenyi
1   Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg
,
J. Steinhäuser
1   Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg
3   Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Lübeck
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
23 March 2015 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Die Altersstruktur der hausärztlich praktizierenden Ärzte stellt eine Herausforderung für die Sicherstellung der flächendeckenden medizinischen Versorgung für die Zukunft dar. Ziel dieser Studie ist, die derzeitige hausärztliche Versorgungssituation aus der Sicht von Bürgermeistern als Vertreter der kommunalen Ebene zu erheben. Die so erhaltenen Ergebnisse können das Thema Über- und Unterversorgung sowie die andauernde Bedarfsplanungsdiskussion um die Perspektive der kommunalen Ebene bereichern.

Methoden: Allen 1101 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Baden-Württemberg wurde im Mai 2011 ein selbstentwickelter Fragebogen zugeschickt. Bei der Auswertung wurden der subjektiven Einschätzung der Teilnehmer bezüglich der räumlichen Lage die Siedlungstypen, die durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) vorgegeben sind, gegenübergestellt.

Ergebnisse: Die Rücklaufquote betrug 63% (n=698). Eine ländliche Gemeindelage gaben rund 70% (n =468) der Bürgermeister an, laut BBSR Siedlungstypisierung kamen die Antworten in 26% (n=177) aus ländlichen Gemeinden. Nach Angaben der teilnehmenden Bürgermeister wurden knapp 54% (n=355) der Gemeinden rein hausärztlich versorgt. Aus den Angaben wurde eine erlebte hausärztliche Unterversorgung für 13,5% (n=86) der Gemeinden errechnet. Hiervon waren ländliche wie nicht-ländliche Gemeinden betroffen. In Gemeinden bis 20 000 Einwohner sei das Verhältnis Hausarzt zu Facharzt annähernd 60:40. In größeren Städten sind angeblich verhältnismäßig mehr Spezialisten tätig.

Schlussfolgerung: In über der Hälfte der Gemeinden scheint kein niedergelassener Spezialist zu praktizieren. Eine Akkumulation von spezialistisch tätigen Ärzten in größeren Städten wurde angegeben. Der Hausärztemangel scheint vor allem subjektiv erlebt zu werden. Die Einschätzung der geografischen Lage einer Gemeinde differiert deutlich zwischen subjektiver Sicht und der BBSR Siedlungstypisierung. Diese Diskrepanz könnte auf die Außendarstellung der Gemeinden im Wettbewerb um ärztlichen Nachwuchs Auswirkungen haben.

Abstract

Background: The ageing of physicians working in ambulatory care make regional health planning a challenging task. This study examines the current supply of general practitioners (GP) within the communities from the perspective of mayors. The information gained on a community level can be used when discussing over- and undersupply as well as future health care planning.

Methods: A questionnaire was sent to all 1101 mayors of the Federal state of Baden-Württemberg (BW) in May 2011. For the evaluation of the location of the communities, subjective ratings by the mayors were compared with official criteria, provided by the Federal Institute for Research on Building, Urban Affairs and Spatial Development (BBSR).

Results: The participation rate was 63% (n=698). According to the mayors about 70% (n=468) were located in a rural area, according to BBSR criteria were about 26% (n=177) of answers given by rural communities. Of the participating mayors about 54% (n=355) stated that their community is cared for merely by GPs. From this information there was a locally experienced undersupply of GPs calculated for 13.5% (n=86) of the communities. This affected rural as well as non-rural communities. In communities up to 20 000 inhabitants, the ratio between GPs and other specialists seems to be 60:40 whereas in bigger cities the proportion of other specialists appears to be much higher.

Conclusion: Half of the participating communities seem to not have a practicing specialised physician. An accumulation of specialised physicians in larger cities was reported. The GP shortage appears to mainly be experienced subjectively. Regarding the location (urban vs. rural) of the community, subjective views differ distinctly from the BBSR criteria. This discrepancy could influence a community’s marketing strategy when competing for new physicians.

Zusatznutzen im Internet

 
  • Literatur

  • 1 Gerlach FM, Glaeske G, Haubitz M et al. Koordination und Integration – Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens. In Gutachten 2009 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen,,. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Editor 2009 Deutscher Bundestag; Bonn: 2009: 520
  • 2 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Fachdefinition. 2002. Im Internet http://www.degam.de/index.php?id=303 Stand: 17.02.2012
  • 3 Richter-Kuhlmann E. Arztzahlstudie von BÄK und KBV: Die Lücken werden größer. Dtsch Arztebl 2010; 107: A1670-1672
  • 4 Kopetsch T. Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! Studie zur Altersstruktur- und Arztzahlentwicklung 2010. Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung; Berlin: 2010
  • 5 Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg. Versorgungsbericht 2011. Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg; Stuttgart: 2011
  • 6 Roberfroid D, Leonard C, Stordeur S. Physician supply forecast: better than peering in a crystal ball?. Hum Resour Health 2009; 7: 10
  • 7 Goodman DC, Fisher ES. Physician workforce crisis? Wrong diagnosis, wrong prescription. N Engl J Med 2008; 358: 1658-1661
  • 8 Bundesministerium für Gesundheit, Bundesanzeiger In Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Neufassung der Richtlinie über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie). 2012. Bundesministerium der Justiz; Berlin: 1-64
  • 9 Gemeinsamer Bundesausschuss (Hrsg.) Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie). In In der Fassung vom 15. Februar 2007 (BAnz. 2007, S. 3491), zuletzt geändert am 19. Mai 2011 (BAnz. 2011, S. 2768) in Kraft getreten am 5. August 2011. Bundesausschuss Gemeinsamer. (ed.) 2011 Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH; Köln: 2011
  • 10 Bundesinstitut für Bau- Stadt- und Raumforschung. Siedlungsstrukturelle Kreistypen 2009. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung; (ed.). 2011 Bonn: 2011
  • 11 Ozegowski S, Sundmacher L. Wie „bedarfsgerecht“ ist die Bedarfsplanung? Eine Analyse der regionalen Verteilung der vertragsarztlichen Versorgung. Gesundheitswesen 2012; 74: 618-626
  • 12 Flach H. Der Landarzt geht in Rente, in Entwicklungstendenzen und Optionen zur Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung in ländlichen Räumen. Forum Stadt- und Regionalplanung e.V. (ed.). 2012. Universitätsverlag der Technischen Universität Berlin; Berlin: 2012
  • 13 Kistemann T, Schröer MA. Kleinräumige kassenärztliche Versorgung und subjektives Standortwahlverhalten von Vertragsärzten in einem überversorgten Planungsgebiet. Gesundheitswesen 2007; 69: 593-600
  • 14 Hart JT. The inverse care law. Lancet 1971; 1: 405-412
  • 15 Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg. Versorgungsbericht 2010. Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg; Stuttgart: 2010
  • 16 Bedarfsplan der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg über den Stand der vertragsärztlichen Versorgung zum 25.06.2013. Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg; Stuttgart: 2013
  • 17 Heinz A, Jacob R. Medizinstudenten und ihre Berufsperspektiven. In welcher Facharztrichtung, wo und wie wollen sie arbeiten? Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2012; 2: 245-253
  • 18 Stengler K, Heider D, Roick C et al. Weiterbildungsziel und Niederlassungsentscheidung bei zukünftigen Fachärztinnen und Fachärzten in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2012; 55: 121-128
  • 19 Roick C, Heider D, Günther OH et al. Was ist künftigen Hausärzten bei der Niederlassungsentscheidung wichtig? Ergebnisse einer postalischen Befragung junger Ärzte in Deutschland. Gesundheitswesen 2012; 74: 12-20
  • 20 Götz K, Miksch A, Hermann K et al. Berufswunsch „planungssicherer Arbeitsplatz”. Dtsch Med Wochenschr 2011; 136: 253-257
  • 21 Steinhäuser J, Scheidt L, Szecsenyi J et al. Die Sichtweise der kommunalen Ebene über den Hausärztemangel - eine Befragung von Bürgermeistern in Baden-Württemberg. Gesundheitswesen 2012; 74: 612-617
  • 22 Steinhauser J, Annan N, Roos M et al. Lösungsansätze gegen den Allgemeinarztmangel auf dem Land – Ergebnisse einer Online-Befragung unter Ärzten in Weiterbildung. Dtsch Med Wochenschr 2011; 136: 1715-1719
  • 23 Steinhauser J, Roos M, Haberer K et al. Bericht aus der Praxis: Das Programm Verbundweiterbildungplus des Kompetenzzentrums Allgemeinmedizin Baden-Württemberg - Entwicklung, Umsetzung und Perspektiven. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2011; 105: 105-109
  • 24 Klose J, Rehbein I. Ärzteatlas 2011. In Daten zur Versorgungsdichte von Vertragsärzten. Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), (ed.). 2011 Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO); Berlin: 2011
  • 25 Siedentop S, Junesch R, Uphues N et al. Endbericht: Der Beitrag der ländlichen Räume Baden-Württembergs zu wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Kohäsion – Positionsbestimmung und Zukunftsszenarien. Institut für Raumordnung und Entwicklungsforschung (IREUS) Universität Stuttgart; Stuttgart: 2011
  • 26 Henry JA, Edwards BJ, Crotty B. Why do medical graduates choose rural careers?. Rural Remote Health 2009; 9: 1083