Gesundheitswesen 2015; 77(12): 939-946
DOI: 10.1055/s-0034-1398605
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Projektion des Bedarfs an hausärztlicher Versorgung auf Gemeindeebene

Projection of General Practitioner Care Demand at the Community Level
C. Stock
1   Institut für Medizinische Biometrie und Informatik, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg
,
J. Szecsenyi
2   Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg
,
U. Riedinger-Riebl
3   Gesundheitsamt Rottweil, Rottweil
,
J. Steinhäuser
2   Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg
4   Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Lübeck
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Publication History

Publication Date:
11 March 2015 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: In den nächsten 8 Jahren werden in Baden-Württemberg voraussichtlich rund 2 000 Hausärzte einen Nachfolger suchen. Sowohl die Zahlen der letzten Jahre bezüglich Facharztanerkennungen als auch der zunehmende Wunsch nachrückender Hausärzte im Angestelltenverhältnis oder in einer Kooperationsform zu arbeiten, lassen erkennen, dass rund 500 Praxisstandorte zukünftig nicht erhalten bleiben werden. Ziel der vorliegenden Studie war es, beispielhaft anhand eines Landkreises eine Projektion des Bedarfs an hausärztlicher Versorgung auf Gemeindeebene zu erarbeiten, um Praxisstandorte gezielt fördern zu können.

Methode: Es wurde beispielhaft für den baden-württembergischen Landkreis Rottweil mit seinen 21 Gemeinden eine gemeindebezogene Bevölkerungsprognose auf Basis aktueller Geburts- und Sterbewahrscheinlichkeiten durchgeführt. Aus der projizierten Bevölkerungsstruktur wurde der Bedarf an hausärztlicher Versorgung im Jahr 2023 unter der Prämisse der Bewahrung gegenwärtiger alters- und geschlechtsbezogener Arztkontaktzahlen abgeleitet. Das zu erwartende Defizit bzw. der Überschuss an Hausärzten auf Gemeindeebene wurde als Differenz zwischen erwartetem Bedarf und der Zahl altersbedingt nicht neu zu besetzender Hausarztstellen ermittelt.

Ergebnisse: Der demografische Wandel sorgt im Jahr 2023 trotz einer insgesamt kleiner werdenden Bevölkerung bei gleichen alters- und geschlechtsbezogenen Arztkontaktzahlen für einen geringfügig erhöhten Bedarf an hausärztlicher Versorgung von 0,6 Hausärzten. Deutlich stärker fällt hingegen das voraussichtliche altersbedingte Ausscheiden von bis zu 32 Hausärzten (37%) ins Gewicht. In 5 Gemeinden zusätzlich zu aktuell 4 Gemeinden, würde es bei ausbleibender Neubesetzung in 10 Jahren keinen Hausarzt mehr geben.

Schlussfolgerung: Gemeinden, die unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung und Altersstruktur der Ärzte ein erhöhtes Risiko haben, zukünftig Hausärzte nachbesetzen zu müssen, können mit dem hier beschriebenen und angewendeten Verfahren identifiziert werden, um gezielt gemeindeübergreifende Versorgungsmodelle zu implementieren.

Abstract

Background: Within the next 8 years about 2 000 general practitioners (GPs) will be seeking a successor in the federal state of Baden-Württemberg, Germany. Both the small number of newly qualified GPs and the wish to work as an employee or in a group practice will lead to a situation in which about 500 practices will likely not find a successor. Using a single administrative district, the aim of this analysis was to develop a projection of the demand for GP health care at the community level.

Methods: Using the administrative district of Rottweil with its 21 communities, a community-based demographic forecast on the basis of current birth and death probabilities was performed. From the projected population structure, the demand for GP care in the year 2023 was derived under the assumption of unchanged age- and gender-specific numbers of GP visits. The anticipated deficit or, respectively, overrun of GPs at the community level was calculated as the difference between expected demand and number of GPs not retiring for age-related reasons.

Results: Until the year 2023 the demographic change will cause a shrinking population. However, with unchanged age- and gender-specific numbers of GP visits, a slightly higher demand of 0.6 GPs will occur as a result of population-aging. The expected age-related retirement of physicians will have a stronger impact on primary care demand than demography. Up to 32 (37%) GPs might need a successor. In addition to 4 communities today, this would result in another 5 communities not having a GP in 10 years.

Conclusion: Communities that are at higher risk of GP shortage based on demographic changes and age of practicing GPs, can be identified by the approach described and applied here in order to implement targeted comprehensive community models of care.