Geburtshilfe Frauenheilkd 2015; 75 - A22
DOI: 10.1055/s-0035-1551596

Ausgetragene dichorial-diamniote Geminigravidität mit ausgeprägter kindlicher Spina bifida und Hydrocephalus – Eine interdisziplinäre medizinisch-ethische Herausforderung

M Bergner 1, V Thäle 1, R Haase 2, C Strauss 3, M Tchirikov 1
  • 1Universitätsklinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Martin Luther Universität Halle Saale
  • 2Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Martin Luther Universität Halle Saale
  • 3Universitätsklinik und Poliklinik für Neurochirurgie, Martin Luther Universität Halle Saale

Fragestellung:

Darstellung der Beratung der Schwangeren im Rahmen einer schlecht einzuschätzenden kindlichen Prognose sowie der postnatalen Versorgung bei ausgeprägter Spina bifida.

Methodik: Kasuistik mit Diskussion der medizinischen Möglichkeiten im Zentrum der perinatalen Maximalversorgung und Diskussion der ethischen Problematik.

Ergebnisse:

Bei einer 26-jährigen Schwangeren, IIIG 0P (Z.n. 2 x EU; Z.n. Salpingektomie bds.) wird im 2. ICSI-Zyklus eine dichorial-diamniote Geminigravidität festgestellt.

Nach 18+3 voll. SSW wird sonographisch bei Fetus 2 eine ausgeprägte Spina bifida mit lumbosacraler Myelomeningozele und nachweisbarer Arnold-Chirari-Malformation (Typ II) festgestellt.

Mit den werdenden Eltern wurden unter Einbeziehung der Vertreter aller mitbetreuenden medizinischen Fachbereiche die prä- und postnatalen Therapiemöglichkeiten diskutiert.

Die Patientin entschied sich gegen die Optionen des selektiven Fetozides sowie einer intrauterinen Therapie. Die von den Eltern initial favorisierte rein palliative Behandlung des von der Spina bifida betroffenen Kindes musste unter Berücksichtigung des Kindeswohls von der Ethikkomission abgelehnt werden.

Bezüglich der fetalen Überwachung ergeben sich keine weiteren Auffälligkeiten. Beide Kinder entwickelten sich zeitgerecht. Nach 37+3 voll. SSW erfolgt die Entbindung per primärer Sectio. Es werden zwei lebensfrische Mädchen geboren. Am zweiten Lebenstag wird die Myelomeningozele chirurgisch verschlossen.

Im klinischen Verlauf wurde das Mädchen bei rezidivierenden Apnoe-Anfällen mehrfach reanimationspflichtig, letztlich wurde eine zentrale Apnoe im Sinne eines Cyanotic Breath Holding Spell-Syndroms diagnostiziert. Es erfolgte die neurochirurgische Versorgung des Hydrocephalus.

Bei mehrfach täglich auftretenden Apnoe-Bradykardie-Episoden erfolgte die Anlage eines Tracheostomas als Voraussetzung für die häusliche Intensivpflege.

Die Patientin befindet sich momentan im häuslichen Umfeld in 24h-Pflege, die Schwester der Patientin entwickelt sich zeitentsprechend.

Schlussfolgerung:

Die Spina bifida ist eine Fehlbildung, deren präpartale wie auch postnatale Betreuung eine interdisziplinäre Herausforderung für Zentren der Maximalversorgung darstellt.

Nach deutschem Recht ergibt sich die Begründung eines medizinisch induzierten Schwangerschaftsabbruches einzig aus der Gefährdung der körperlichen oder geistigen Gesundheit der Mutter. Ein Abbruch aus der sogenannten "fetopathischen" Indikation ist nicht zulässig.

Bei der Beratung einer Schwangeren mit diagnostizierter fetaler Fehlbildung gehört es zu den Aufgaben des Arztes, die Therapieoptionen und die Prognose adäquat einzuschätzen, aber auch die Schwangere über die ethische Begründbarkeit eines Abbruchs aufzuklären, ohne sie in ihrer Entscheidungsfindung zu beeinflussen. Dies setzt ein hohes Maß an Erfahrung, Empathie aber auch eine aktive Auseinandersetzung mit dem ethischen Diskurs voraus.