Suchttherapie 2015; 16 - S_24_01
DOI: 10.1055/s-0035-1557588

Veränderungen in der Prävalenz substanzbezogener Störungen durch den Wechsel von DSM-IV zu DSM-5

D Piontek 1, E Gomes de Matos 1, L Kraus 1, 2
  • 1IFT Institut für Therapieforschung, Deutschland
  • 2Centre for Social Research on Alcohol and Drugs, SoRAD, Stockholm University, Schweden

Einleitung: Im Jahr 2013 wurde die vierte Version des Diagnostischen und Statistischen Manuals psychischer Störungen (DSM-IV) nach zwanzigjähriger Gültigkeit von einer revidierten Fassung (DSM-5) abgelöst. Für den Bereich substanzbezogener Störungen gab es zwei wichtige Neuerungen: die Aufgabe der Dichotomie zwischen Missbrauch und Abhängigkeit zugunsten eines eindimensionalen Konzepts sowie die Anpassung einzelner Kriterien. Bisher wurden Unterschiede zwischen DSM-IV und DSM-5 vor allem im englischsprachigen Raum getestet. Ziele der vorliegenden Studie sind (a) eine Untersuchung der Veränderungen von Prävalenzschätzungen substanzbezogener Störungen zwischen DSM-IV und DSM-5 in der deutschen Allgemeinbevölkerung sowie (b) die Überprüfung der diagnostischen Übereinstimmung der beiden Klassifikationssysteme.

Methoden: Die Analysen basieren auf Daten von 9.084 Teilnehmern des Epidemiologischen Suchtsurveys 2012, einer bundesweiten Repräsentativbefragung zum Substanzkonsum unter 18- bis 64-Jährigen. Störungen in Bezug auf Alkohol, Nikotin, illegale Drogen und Medikamente wurden anhand der Kriterien des DSM-IV sowie des DSM-5 erfasst (12-Monats-Prävalenz). Prävalenzen der einzelnen Störungen auf Basis der Klassifikationssysteme werden verglichen und Übergänge zwischen diagnostischen Gruppen werden beschrieben. Die diagnostische Übereinstimmung der Klassifikationssysteme wird anhand der Parameter Sensitivität, Spezifität sowie positiver und negativer Vorhersagewert geprüft.

Ergebnisse: Die geschätzte Prävalenz substanzbezogener Störungen in der Allgemeinbevölkerung nach DSM-5 liegt im Vergleich zum DSM-IV für Alkohol (9,0% vs. 6,5%) und Nikotin (21,6% vs. 10,7%) höher, für Cannabis gleich hoch (1,0%) und für Schmerzmittel (9,6% vs. 11,7%) niedriger. In Bezug auf die diagnostische Übereinstimmung findet sich durchgängig eine hohe Spezifität (94,9% für Schmerzmittel bis 100,0% für Nikotin). Die Sensitivität variiert deutlich zwischen 49,5% (Tabak) und 80,0% (Cannabis).

Diskussion: Die Anpassung der diagnostischen Leitlinien führt zu teilweise erheblichen Veränderungen in der Prävalenz substanzbezogener Störungen. Insbesondere werden Personen, die im DSM-IV knapp unterhalb der diagnostischen Schwelle liegen („diagnostische Waisen“), im DSM-5 berücksichtigt.