Suchttherapie 2015; 16 - S_43_02
DOI: 10.1055/s-0035-1557665

Zur prognostischen Relevanz von Entwicklungsgefährdungen und familialen Schutzfaktoren bei Jugendlichen mit stationär behandelter Alkoholintoxikation

H Schwendemann 1, H Kuttler 2, EM Bitzer 1
  • 1Pädagogische Hochschule Freiburg, Deutschland
  • 2Villa Schöpflin gGmbH, Lörrach

Einleitung: Riskanter Alkoholkonsum im Jugendalter kann akute gesundheitliche Probleme oder auch langfristige Schädigungen mit sich bringen. Eine besondere Gruppe stellen Jugendliche dar, die aufgrund einer Alkoholintoxikation im Krankenhaus behandelt werden. Bisherige querschnittliche Studien zeigen, dass zwischen 6,6% bis 35% dieser Jugendlichen als gefährdet eingestuft werden bzw. einen umfassenden Hilfebedarf haben. Wenig bekannt ist über Art und Umfang weiterer Entwicklungsgefährdungen, familialer Schutzfaktoren und deren prognostische Relevanz zum Zeitpunkt des Krankenhausaufenthaltes.

Methoden: Die Analysen basieren auf dem prospektiven, längsschnittlichen multizentrischen Teil der Studie zum „Prognostizieren und Erkennen mittel- und langfristiger Entwicklungsgefährdungen nach jugendlichen Alkoholvergiftungen“. Wir haben Jugendliche im Alter zwischen 12 bis < 18 Jahre, die aufgrund einer Alkoholintoxikation stationär behandelt werden, im Krankenhaus schriftlich (T0) und zwischen 6 – 8 Monaten nach der Entlassung telefonisch (T1) befragt. Die Befragung zu T0 erfolgte von 06/2012 bis 10/2013 an zehn HaLT-Standorten bundesweit. Erfasst wurden neben sozioökonomischen Daten Risiko- und Schutzfaktoren mittels des Communities That Care Youth Survey Instruments (CTC) sowie Entwicklungsgefährdungen anhand des CTC, des Childhood Trauma Questionnaires, Items aus der KiGGS Studie und originären Items. Es erfolgen deskriptive sowie inferenzstatistische Analysen. Mittels eines binären logistischen Regressionsmodells wurde die prognostische Relevanz von Entwicklungsgefährdungen sowie familialen Schutzfaktoren zu T0 geprüft. Ebenfalls erfolgte eine Selektivitätsanalyse anhand einer binär logistischen Regression. Alle Analysen erfolgen mittels SPSS V.22.

Ergebnisse: Wir erreichten n = 228 Jugendliche zu beiden Zeitpunkten, im Durchschnitt 15,6 (SD = 1,1) Jahre alt und zu 48,2% weiblich. 45,2% der Jugendlichen weisen zu T0 ≥2 Entwicklungsgefährdungen (im Laufe des Lebens aufgetretene/aktuell vorliegende) auf, zu T1 sind es 22,4% bei denen aktuell ≥2 Entwicklungsgefährdungen vorliegen. Bei Jugendlichen mit zwei zu T0 bestehenden Entwicklungsgefährdungen erhöht sich das Risiko für eine mittelfristige starke Gefährdung um das Fünffache (RR: 5,0 95%-Konfidenzintervall 2,6 – 9,5). Unter Ausschluss von Entwicklungsgefährdungen lässt sich die Wirkung von Schutzfaktoren zeigen.

Die Selektivitätsanalyse zeigt, dass belastete Jugendliche seltener an der T1-Befragung teilnehmen und die tatsächlichen mittelfristigen Entwicklungsgefährdungen somit unterschätzt werden.

Diskussion: Wir können zeigen, dass sich ein Teil der Jugendlichen mit stationär behandelter Alkoholintoxikation in einer Lebenssituation mit multiplen, teilweise schweren Belastungen befindet. Mindestens zwei Entwicklungsgefährdungen zu T0 erweisen sich als hoch prädiktiv für das mittelfristige Vorliegen von Entwicklungsgefährdungen. Durch die positive Verzerrung wird das Ausmaß der mittelfristigen Gefährdung unterschätzt. Die Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit einer Erhebung des Gefährdungsausmaßes der Jugendlichen beim Krankenhausaufenthalt, um gezielte Interventionen anbieten zu können.