Gesundheitswesen 2015; 77 - A264
DOI: 10.1055/s-0035-1563220

Multimedikation bei älteren GKV-Versicherten mit Pflegeleistungen im Vergleich zu Versicherten ohne Pflege

V Lappe 1, P Ihle 1, I Schubert 1
  • 1PMV forschungsgruppe, Universität zu Köln, Köln

Hintergrund: Multimedikation nimmt im Alter wegen der zunehmenden Multimorbidität zu. Das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen steigt durch Arzneimittelinteraktionen, Anwendungsfehler oder Complianceprobleme infolge der Multimedikation. Die Studie untersuchte die Häufigkeit von und Einflussfaktoren auf Multimedikation bei Pflegepatienten im Vergleich zu Patienten ohne Pflegeleistungen. Methodik: Studienpopulation: Versicherte (65+ Jahre) der AOK Nordwest und Rheinland/Hamburg wohnhaft in Nordrhein-Westfalen mit Pflegeleistung an einem Zufallsstichtag in 2012; Kontrollgruppe ohne Pflegeleistung (1:4) geschichtet nach 5-Jahres-Altersgruppen und Geschlecht. Multimedikation: Fünf oder mehr verordnete Wirkstoffe im 91-Tage-Zeitraum um den Zufallsstichtag (Apothekenabgabedatum). Einflussfaktoren auf Multimedikation (ja/nein) getestet im logistischen Modell: Geschlecht (Frauen vs. Männer), Alter (5-Jahres-Altersgruppen vs. 65 – 69 Jahre), Tod innerhalb von 90 Tagen nach dem Medikationszeitraum (ja vs. nein), Pflegeart (Stufe 1 – 3 jeweils ambulant oder stationär vs. keine Pflege), Regierungsbezirk (Referenzgruppe Münster). Ergebnisse: Häufigkeit Multimedikation: Pflegefälle 72%, Kontrollen 45%. Geringe Unterschiede Männer/Frauen und ambulanter/stationärer Sektor. In Pflegestufe 3 war der Anteil Multimedikation 10%-Punkte niedriger als in Pflegestufe 1 oder 2. Bei Hochaltrigen zeigte sich ein Rückgang der Multimedikation. Hochgradige Multimedikation (10+ Wirkstoffe): Pflegefälle 26%, Kontrollen 8%. Chronische Multimedikation (in 3 von 4 Quartalen bei durchgängig Versicherten 2012) ähnlich häufig (69%,39%) wie im 91-Tage-Zeitraum. Alle Faktoren hatten im Modell einen hochsignifikanten Einfluss auf die Multimedikation. Patienten mit Pflege hatten in allen Pflegeartgruppen ein deutlich erhöhtes Risiko für Multimedikation (OR 2,1 – 4,0). Den zweitgrößten Einfluss hatte der Faktor Tod (OR 2,1). Zwischen den fünf Regierungsbezirken fanden sich Risikounterschiede von maximal 17%. Diskussion: Versicherte mit Pflege waren deutlich häufiger als Versicherte ohne Pflege von Multimedikation betroffen, wobei die Häufigkeit in der höchsten Pflegestufe und bei den 90 Jahre und Älteren wieder abnahm. Da Multimedikation im ambulanten Pflegesektor fast eine genauso große Rolle wie im stationären Sektor spielte, sollten beide Sektoren im Fokus von Projekten zur Arzneimitteltherapiesicherheit stehen. Ursachen für regionale Unterschiede sollten erforscht werden, um daraus Ansatzpunkte für die Therapieoptimierung abzuleiten.