Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0036-1571405
Die zunehmende Bedeutung von Hämoglobinopathien im Zeitalter der Migration – Klinik, Diagnostik bei Schwangeren und Neugeborenen
In Mittel- und Nordeuropa selten, sind Hämoglobinopathien wie Sichelzellkrankheit und Thalassämien die häufigsten monogen vererbten Krankheiten der Welt. Endemisch im Mittelmeerraum, in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten und in Südostasien, werden sie durch Migration auch in nördlicheren europäischen Ländern gesundheitspolitisch relevant. Bisher gibt es in Deutschland keine konsentierten Präventionsprogramme wie in anderen europäischen Ländern z.B. UK und Italien, jedoch stehen erste Empfehlungen zur Diagnostik und klinischen Betreuung von Betroffenen zur Verfügung.
Bei Indikationen wie persistierende mikrozytäre hypochrome Anämie (z.B. MCH < 27 pg) (V.a. Thalassämie, Hämoglobinopathie), unklare Anämie (V.a. Hämoglobinopathie, Thalassämie mit modifizierenden Faktoren), unklare Hämolyse (V.a. Hämoglobinopathie), rezidivierende Aborte, positive Familienanamnese, Familienuntersuchungen sollten im Rahmen einer Stufendiagnostik zunächst ein kleines Blutbild mit Retikulozyten, Abklärung des Eisenstoffwechsels und eine Hämoglobin-Elektrophorese, respektive -Chromatografie durchgeführt werden. Ausgehend von diesem Befund wird in Bezug auf die Indikation eine molekulargenetische Bestätigungsdiagnostik empfohlen. Hinsichtlich der Fragestellung liegt der Fokus der gynäkologischen Praxis mehr auf der Erkennung des genetischen Risikos für Familien als auf der Identifikation betroffener Patienten. Hingegen in der pädiatrischen Praxis liegt der Fokus mehr auf der (Früh-)erkennung betroffener Kinder einhergehend mit der Beratung der Familien. Die Untersuchung auf eine genetische Erkrankung, unabhängig ob Genprodukte oder Gene selbst untersucht werden, fällt unter das Gendiagnostikgesetz und setzt die schriftliche Einwilligung voraus.
Träger von Thalassämien (heterozygot β+ und β0, hetero- oder homozygot α+, heterozygot α0) und Hämoglobinopathien (heterozygot HbS, HbC) zeigen zumeist keine klinischen Beeinträchtigungen, haben jedoch ein mehr oder weniger ausgeprägtes genetisches Risiko. Im Falle eines Risikos für schwere Hämoglobinopathien (wie Hydrops fetalis bei homozygot α0, βThal. major/intermedia und Sichelzellkrankheit) ist die Untersuchung des Partners empfohlen. Ein Pilotprojekt der Charité hat in einer Berliner Jahrgangskohorte Neugeborener 14 Patienten mit Sichelzellkrankheit identifiziert und einer gesicherten Behandlung zugeführt und stellt die erste systematische Untersuchung zur Prävalenz der Sichelzellkrankheit in Deutschland dar.