Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0036-1584428
Phytotherapie als Standardtherapie: Wunsch oder Wirklichkeit?
Phytotherapie als Standardtherapie – das liegt 200 Jahre zurück, in einer Zeit, als chemisch definierte Arzneimittel noch nicht erfunden waren. So die geläufige Auffassung. Doch lohnt es sich zu fragen, ob es dies nicht auch in der Gegenwart gibt. Sicherlich müssen heute aber einige besondere Umstände zusammenkommen, wie sich an einigen Beispielen zeigen lässt. Ein aktuelles Beispiel ist die Therapie der funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen. Als Standardtherapie hatten sich in den 80er- und 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Prokinetika durchgesetzt, also Präparate wie Cisaprid, Metoclopramid und Domperidon, die insbesondere an Serotoninrezeptoren angreifen. Im Jahr 2000 fiel hier Cisaprid, 2014 Metoclopramid und Domperidon wegen seltener schwerwiegender Nebenwirkungen weg. Das Phytopharmakon Iberogast, für das in Studien schon 1984 die Vergleichbarkeit mit Metoclopramid, 2002 mit Cisaprid gezeigt worden und das schon 1999 bzw. 2001 in die ärztlichen Leitlinien aufgenommen worden war, nimmt nun in vielen Fällen den Platz dieser Therapien ein. Ein anderes Beispiel ist Johanniskraut, das eines der ersten Phytopharmaka war, die aufgrund der hervorragenden Studienlage breite Anerkennung gewannen und 2009 in die nationale Versorgungsleitlinie zur unipolaren Depression aufgenommen wurde. Ein teils analoger Fall liegt bei Ginkgo vor, der aufgrund zahlreicher Studien neben den chemisch definierten Antidementiva Anerkennung findet. Ein drittes Beispiel sind pflanzliche Erkältungspräparate wie Primel-Thymian-Kombinationen, die auch in Leitlinien ärztliche Anerkennung erfahren haben, aber auch vorwiegend physikalisch die Schleimhaut schützende Präparate wie Eibisch- bzw. Spitzwegerich-Extrakte, die in Apotheke bzw. Drogerie große Anerkennung finden. Hier ist der Weg zur Standardtherapie aber möglicherweise noch nicht abgeschlossen.
Macht man also als Merkmal für eine Standardtherapie die Aufnahme in ärztliche Therapieleitlinien aus, dann ist eine gute Studienlage Voraussetzung. Nimmt man Medical Need als Basis für eine hohe Verbreitung, sind Studien nicht unbedingt nötig, wenn eine überzeugende Wirksamkeit für den Patienten rasch spürbar ist. Zu solchen Präparaten gehören Arzneimittel wie die Eibischwurzelextrakte. Aber hier ist die Akzeptanz im ärztlichen Bereich noch begrenzt. Zusammenfassend gesagt, hat es sich durchaus als möglich erwiesen, dass pflanzliche Präparate auch heute noch zur Standardtherapie avancieren, doch sind gewisse Voraussetzungen von Vorteil, wozu insbesondere eine gute Studienlage gehört.