Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76 - P503
DOI: 10.1055/s-0036-1593197

Spätabbrüche nach der 12. SSW gemäß §218a Abs. 2 StGB – Daten aus der Praxis des „Gießener Modells“

J Lang 1, A Wolter 2, A Kawecki 2, A Weber 3, R Axt-Fliedner 2, R Dettmeyer 1, J Degenhardt 2
  • 1Institut für Rechtsmedizin, Universitätskliniken Gießen und Marburg, Gießen, Deutschland
  • 2Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Justus-Liebig-Universität, Abteilung für Pränatalmedizin, Gießen, Deutschland
  • 3Institut für Humangenetik, Justus-Liebig-Universität, Gießen, Deutschland

Hintergrund: Mit der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs durch Art. 13 des SFHG (Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom 27.07.1992, BGBl. I, S. 1398) wurde die sog. embryopathische Indikation verlassen. §218a Abs. 2 StGB verlangt seither für einen sog. Spätabbruch nach der 12. SSW eine „nach ärztlicher Erkenntnis“ gegebene Notlage der Schwangeren. Das Gießener Modell sieht dabei eine enge Zusammenarbeit von Pränatalmedizin, Rechtsmedizin und Staatsanwaltschaft vor.

Methodik: Vom 01.05.2012 bis 31.07.2015 wurden im Universitätsklinikum Gießen 100 Schwangerschaftsabbrüche gem. §218a Abs. 2 StGB vorgenommen. Folgende Daten wurden untersucht: Alter der Schwangeren, Art der Erkrankungen des Feten, Zeitpunkt der Diagnose, medizinische und psychosoziale Beratung der Schwangeren, Zeitpunkt des Spätabbruchs und der Entbindung, Art des Schwangerschaftsabbruchs, Geschlecht der Feten.

Ergebnisse: Bei 100 Schwangeren wurde in der 13.-35. SSW die Schwangerschaft abgebrochen. In 39 Fällen waren pränatal chromosomale Anomalien diagnostiziert worden, in den übrigen 61 Fällen sonografisch diagnostizierte Anomalien mit dominierenden Entwicklungsstörungen des ZNS und des kardiovaskulären Systems. In allen Fällen erfolgte eine interdisziplinäre Beratung, sowie das Angebot der psychosomatischen Mitbetreuung und der Anbindung an eine psychosoziale Beratungsstelle. In allen Fällen erfolgte eine rechtsmedizinische Leichenschau nach Abort/Geburt der Feten.

Schlussfolgerung: Neben der Dokumentation der intrauterinen Erkrankung des Feten wird beim Schwangerschaftsabbruch gem. §218a Abs. 2 StGB von den behandelnden Ärzten erwartet, dass die „nach ärztlicher Erkenntnis“ gegebene Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren in den Krankenunterlagen plausibel dargelegt wird. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Fachdisziplinen und mit den Strafverfolgungsbehörden.