Geburtshilfe Frauenheilkd 2017; 77(02): 192-200
DOI: 10.1055/s-0036-1597735
Abstracts
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Weibliche Sexualität im Alter – normal – gestört – behandelbar?

S Rothmaler
1   Psychotherapeutische Praxis, Prenzlauer Berg, Berlin
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Publication Date:
06 March 2017 (online)

 

Die Datenlage, Interpretationssituation und kulturelle Einbettung der Sexualität von älteren Frauen wird analysiert. Gemeint sind Frauen ab etwa 50 – 60 Jahren, da Alter und Eintritt in die Menopause oft gleichgesetzt werden. Es geht um das wahrscheinlich größte Drittel im Leben einer Frau mit ihrer sehr geschlechtsspezifischen erotischen und sexuellen Identität, denn Frauen altern anders als Männer. In der gynäkologischen Sprechstunde wird das Thema Sexualität bzw. sexuelle Probleme nur von einem Viertel der älteren Frauen aktiv angesprochen, obwohl davon auszugehen ist, dass mehr als doppelt so viele gern mit ihrer Gynäkologin/ihrem Gynäkologen Fragen rund um die Sexualität besprechen würden. Da aber auch nur 11% der behandelnden Gynäkologinnen/Gynäkologen ihre Patientin aktiv zu einem solchen Gespräch ermutigen, bleiben die meisten Fragen ungenannt und unbesprochen.

Über weiblicher Sexualität im Alter liegt immer noch ein starkes Tabu, so dass der Anschein entsteht, dass Frauen im Alter nicht mehr am Sex interessiert seien. Auch die jüngeren Generationen mögen es sich kaum vorstellen und reagieren oft mit Befremden und Aversion, wie man an der Reaktion zum Film „Wolke 9“ von A. Dresen beobachten konnte, der die Gesellschaft 2008 und immer noch in Für und Wider spaltet. Dabei können sich ältere Menschen genauso wie jüngere verlieben, der ganze erregende und bindende Hormoncocktail in Kopf und Körper und der sexuelle Reaktionszyklus springen dann wieder an, als seien sie gerade 16 Jahre alt, auch wenn zwischendurch alles lange Zeit „geruht“ hatte. Das größte sexuelle Problem älterer Frauen sind nicht-medizinische Probleme (Inkontinenz, Diabetes, gynäkologische Operationen u.a.), auch nicht die hormonellen Veränderungen der Menopause, die inzwischen als überinterpretiert gelten, sondern psychische Probleme der Generationenfolge (Leeres-Nest-Syndrom) und v.a. die Partnerlosigkeit. Ältere Frauen sind bereits häufig verwitwet oder geschieden oder finden allein aus demographischen Gründen keinen neuen Partner (Männer sterben früher, heiraten jüngere Frauen, haben einen schlechteren Gesundheitszustand, leiden stärker unter sexueller Dysfunktion). Sie erleben einen schmerzlichen Mangel an zärtlichem und sexuellem Kontakt. Doch auch partnerlose ältere Frauen sind sexuell aktiv: sie suchen bis ins hohe Alter von 90 Jahren nach Zärtlichkeit, haben erotische Träume und Phantasier und befriedigen sich selbst. Gibt es sexuelle Probleme in der Partnerschaft älterer Menschen, so ist die Prognose einer Paar- und Sexualtherapie genauso günstig wie bei jüngeren Partnerschaften.