Geburtshilfe Frauenheilkd 2017; 77(02): 192-200
DOI: 10.1055/s-0036-1597736
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gegenbewegung in Stockholm? – Ferdinand Sauerbruch (1875 – 1951) und der Nobelpreis

U Schagen
1   Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Charité, Berlin
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Publication Date:
06 March 2017 (online)

 

Ferdinand Sauerbruch, der bis heute berühmteste deutsche Chirurg, wurde so häufig wie kein anderer deutscher Wissenschaftler für den Nobelpreis vorgeschlagen. Wer nominierte Sauerbruch, warum wurde er nominiert und warum erhielt er den Preis nicht? Der These, Sauerbruch habe den Preis aus politischen Gründen nicht erhalten, wird nachgegangen.

Der Vortrag stützt sich auf die gemeinsame Arbeit mit dem Düsseldorfer Medizinhistoriker Nils Hansson, der Archivbestände der Nobelstiftung Stockholm durchsehen konnte. Nach dem Testament Alfred Nobels (1896) sollte der Preis für die bedeutendste Entdeckung auf dem Gebiet der Medizin und Physiologie jährlich der Person verliehen werden, die „im vergangenen Jahr den größten Nutzen für die Menschheit erbracht hat“. Sauerbruch wurde von 1912 bis 1951 von 65 Wissenschaftlern, dreien aus der Schweiz, je einem aus Österreich und Japan und 60 aus dem Deutschen Reich nominiert. In den Jahren 1919 und 1931 nahm das Nobelkomitee die Leistungen Sauerbruchs in die engere Wahl und ließ eingehende Gutachten anfertigen. Das Gutachten von 1919 beschäftigte sich insbesondere mit der Sauerbruchschen Armprothese. Es kam zum Schluss, dass es der Entwicklung an Originalität fehle, Giuliano Vanghetti (1861 – 1940) gebühre die Priorität. Ein Mitglied des Nobelkomitees schrieb 1931 ein weiteres ausführliches Gutachten, jetzt zu den Methoden von Sauerbruchs „Unterdruckkammer“ und Ludolph Brauers (1865 – 1951) „Überdrucktherapie“. Im Ergebnis sei die letztere vorzuziehen. Hinsichtlich der Priorität habe es wichtige Vorgänger gegeben, insbesondere Carlo Forlanini (1847 – 1918). Hitlers Verbot der Annahme des Preises durch deutsche Wissenschaftler (1937) hatte keine Auswirkungen auf eine Berücksichtigung von Sauerbruch, da er einerseits aus den genannten Gründen nicht mehr in die engere Wahl kam, andererseits aber auch später andere deutsche Wissenschaftler als preiswürdig benannt wurden. So muss konstatiert werden, dass Sauerbruch trotz großer Zahl der Nominierungen, vermutlich in erster Linie seine beherrschende Stellung in der deutschen Chirurgie widerspiegelnd, den Nobelpreis nicht erhielt, da die rein fachlichen Stellungnahmen den Sauerbruchschen Entwicklungen keine Erstautorschaft zuschreiben konnten.

Literatur:

[1] Hansson, Nils; Schagen, Udo (2014): The Limit of a strong Lobby: Why did August Bier and Ferdinand Sauerbruch never receive the Nobel Prize? International Journal of Surgery 12: 998 – 1002

[2] Hansson, Nils; Schagen, Udo (2014): „In Stockholm hatte man offenbar irgendwelche Gegenbewegung“ – Ferdinand Sauerbruch (1875 – 1951) und der Nobelpreis. NTM. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin (22): 133 – 161

[3] Schagen, Udo (2015): „Würdiger“ Repräsentant deutscher Ärzte. Über Ferdinand Sauerbruch. Gesundheit braucht Politik, Z. für eine soziale Medizin. H. 4: 17 – 18