Geburtshilfe Frauenheilkd 2017; 77(02): 192-200
DOI: 10.1055/s-0036-1597744
Abstracts
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das Nocebophänomen – die dunkle Seite der menschlichen Einbildungskraft

R Wieth
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe in den DRK Kliniken Berlin-Köpenick
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Publication Date:
06 March 2017 (online)

 

Ärztliche Kommunikation und Therapieerwartungen des Patienten können erhebliche positive aber auch negative Auswirkungen auf den Behandlungsverlauf haben. Die positiven Effekte sind als Placebophänomene seit längerer Zeit bekannt. Die negativen Auswirkungen werden als Nocebophänomene (lat.: ich werde schaden) bezeichnet und sind im klinischen Alltag ebenfalls weit verbreitet. Ihre Bedeutung für das ärztliche Handeln wurde von Wissenschaftlern und Klinikern in den vergangenen Jahren zunehmend erforscht und hält somit Einzug das Bewusstsein des klinisch tätigen Arztes.

Dabei bezeichnet man als Noceboeffekte Beschwerden, die unter einer Scheinbehandlung und/oder durch Suggestion negativer Erwartungen auftreten. Entstehen die Beschwerden allein durch negative Erwartungen des Patienten und/oder durch Suggestion der Behandler ohne eine Behandlung wird von einer Noceboantwort gesprochen. Als zugrundeliegende Mechanismen ließen sich Lernen durch klassische Konditionierung, Reaktion auf Erwartungen, ausgelöst durch verbale und nonverbale Information oder Suggestion nachweisen. Auch die Aufklärung über mögliche Komplikationen einer medikamentösen Therapie und die negativen Erwartungen des Patienten führen zu einer Zunahme der Häufigkeit unerwünschter Nebenwirkungen. Daraus resultiert ein ethischer Konflikt für den Arzt, einerseits der Pflicht den Patienten über mögliche Nebenwirkungen zu informieren und andererseits der Pflicht, das Risiko einer medizinischen Behandlung zu minimieren, also auch die Noceboeffekte durch eine „schonungslose“ Aufklärung zu vermeiden. Mögliche Lösungsstrategien können die Fokussierung auf die Verträglichkeit von Maßnahmen und das vom Patienten erlaubte Verschweigen von unerwünschten Nebenwirkungen im Aufklärungsgespräch sein.

Bereits während des Studiums aber auch in der ärztlichen Weiterbildung scheint es wichtig die „Macht der Worte“ des Arztes zu betonen und im Kommunikationstraining zu schulen.