Geburtshilfe Frauenheilkd 2017; 77(04): 406-429
DOI: 10.1055/s-0037-1601511
Abstracts
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Geminigravidität mit Narbendehiszenz und intraabdominell prolabierender Fruchtblase im Zustand nach dreimaliger Sectio caesarea – Kasuistik mit Videodemonstration

M Komar
1   Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus
,
K Nitzsche
1   Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus
,
P Wimberger
1   Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus
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Publication History

Publication Date:
06 April 2017 (online)

 

Hintergrund:

Die Sectiorate ist in den letzten Jahrzenten in Deutschland von 21,5% im Jahr 2000 auf 31,1% im Jahr 2015 stark angestiegen. Heutzutage wird damit nahezu jedes dritte Kind per Kaiserschnitt geboren. Deutschland gehört somit in Europa zu den Ländern mit einer hohen Kaiserschnittrate. In der Universitätsfrauenklinik Dresden kamen im Jahr 2016 2668 Geburten zur Welt, 31,4% dieser Kinder wurden per Kaiserschnitt geboren. Im Vergleich zur vaginalen Geburt bringt die Sectioentbindung deutlich höhere maternale, sowie fetale Risiken für Morbidität und Mortalität. Zu den wichtigsten perioperativen Komplikationen gehören Blutungen, die Verletzung von benachbarten Organen, Wundheilungsstörungen, Infektionen, sowie das erheblich erhöhte Risiko für ein thromboembolisches Ereignis. Nicht unterschätzt werden dürfen die Auswirkungen der Sectionarbe auf die nachfolgende Schwangerschaft, insbesondere das erhöhte Risiko für Plazentationsstörungen, Narbendehiszenzen bis hin zur lebensbedrohlichen Uterusruptur.

Diese Arbeit stellt den Fall einer Narbendehiszenz mit nach intraabdominal prolabierter Fruchtblase bei einer dichorialen, diamnialen Geminigravidität vor.

Kasuistik:

Die Vorstellung der 40-jährige Patientin (IV. Gravida, III. Para) erfolgte in unserer Sprechstunde bei Verdacht auf eine Nahtdehiszenz im Zustand nach dreifacher, elektiver Sectioentbindung. Nach unerfülltem Kinderwunsch wurde die Patientin durch eine reproduktionsmedizinische Behandlung, Intrazytoplasmatische Spermieninjektion, mit zwei transferierten Embryonen schwanger. Im Rahmen des Ersttrimesterscreenings wurde bereits ein sehr dünn ausgezogenes unteres Uterinsegment im Bereich der alten Uterotomienarbe diagnostiziert. Zum Zeitpunkt der Feindiagnostik in der 20. SSW betrug die Uteruswanddicke 2,2 mm. In der 22+1. SSW stellte sich eine Nahtdehiszenz mit nach intraabdominal prolabierender Fruchtblase des 1. Geminus dar. Daraufhin wurde die Patientin stationär aufgenommen.

Im Verlauf zeigten sich in der prolabierenden Fruchtblase kleine Teile (Beine) des ersten Geminus. Es folgte ein ausführliches Gespräch über die aktuelle Situation, maternale und fetale Risiken wurden im Detail erläutert. Auf Wunsch der Patientin wurde die Schwangerschaft trotz unklarer Prognose fortgesetzt. Die stationäre Behandlung bestand aus körperlicher Schonung, oraler Tokolyse mit Nifedipin sowie täglicher sonographischer Beurteilung des Defekts incl. Volumometrie der prolabierten Fruchtblase. In der 23+5 SSW wurde die Atemnotsyndrom-Prophylaxe mit 3 × 8 mg Celestan® durchgeführt. Im Verlauf stellte sich sonographisch eine stabile Situation des Fruchtblasenprolapses dar, jedoch mit wechselndem Inhalt. Teilweise kam es zum Vorfall von Kindsteilen oder Nabelschnurschlingen in den Prolaps. Regelmäßige Wachstumskontrollen ergaben ein unauffälliges zeitgerechtes Wachstum beider Zwillinge. Im Sagittalschnitt betrug das Ausmaß der Bruchpforte 15 bis 20 mm. Die prolabierte Fruchtblase enthielt zwischen 300 bis 500 ml Fruchtwasser. In der 26+6. SSW kam es zu einer Erweiterung de Narbendehiszenz im Uterotomiebereich bis auf 50 × 64 mm. Sonographisch zeigte sich der erste Fet bis zum Bauchnabel reichend in der extrauterin gelegenen Fruchtblasenprolaps liegend. Aufgrund dieses Befundes wurde die primäre Re-Re-Re-Sectio caesarea indiziert. Der Eingriff konnte komplikationslos für die Mutter und die beiden Feten durchgeführt werden. Die APGAR-Werte des betroffenen ersten männlichen Geminus betrugen 4/6/7; NapH 7,30; Gewicht 1230 g und des zweiten männlichen Geminus 8/9/9; NapH 7,30; 1085 g.

Schlussfolgerung:

Literaturrecherchen zufolge beträgt die Prävalenz einer Narbenkomplikation im Zustand nach uterinem Querschnitt etwa 0,06 bis 2%. Häufig wird jedoch nicht zwischen einer klinisch unbedeutsamen Narbendehiszenz, einer gedeckten Uterusruptur, und der Uterusruptur mit komplettem Integritätsverlust der Narbe einschließlich des Peritoneum viscerale unterschieden. Bei der Narbendehiszenz handelt es sich um das Auseinanderweichen der Uteromienaht ohne Blutung. Dies tritt als Zufallsbefund bei ca. 5% aller Sectiones auf. Es besteht eine Korrelation zwischen dem kindlichen Geburtsgewicht und der Prävalenz von Narbenkomplikationen sowie bei zu kurzem Intervall zwischen dem letzten Kaiserschnitt und der aktuellen Schwangerschaft. Je kürzer das Intervall zwischen den Entbindungen, desto höher ist das Risiko für eine Narbendehiszenz. Bei einem Intervall unter 12 Monate beträgt das Risiko der Uterusruptur 4,8%. Die Betreuung der schwangeren Patientinnen bei Zustand nach mehreren Sectiones stellt in der Schwangerschaft und bei der Geburt eine Herausforderung für alle Beteiligten dar.