Suchttherapie 2017; 18(S 01): S1-S72
DOI: 10.1055/s-0037-1604647
Symposien
S-38 Prävalenz und Behandlung von alkoholbezogenen Störungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Alkoholabhängigkeit und Gender: Therapieverlauf und geschlechtsspezifische Unterschiede

D Hinze-Selch
1   Fachkliniken St. Marien-St. Vitus GmbH
,
C Rüping
1   Fachkliniken St. Marien-St. Vitus GmbH
,
S Lottermoser
1   Fachkliniken St. Marien-St. Vitus GmbH
,
I Englert
1   Fachkliniken St. Marien-St. Vitus GmbH
,
S Zentner
1   Fachkliniken St. Marien-St. Vitus GmbH
,
P Weitzmann
1   Fachkliniken St. Marien-St. Vitus GmbH
,
R Nebe
1   Fachkliniken St. Marien-St. Vitus GmbH
,
K Leiber
1   Fachkliniken St. Marien-St. Vitus GmbH
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Publication History

Publication Date:
08 August 2017 (online)

 

Einleitung:

In der Alkoholabhängigkeits-Behandlung werden beide Geschlechter zumeist im gemeinsamen Therapiesetting gleich behandelt. Die Genderforschung zeigt jedoch, dass sich bei Suchterkrankungen die Belange und folglich Therapiebedürfnisse von Frauen und Männern unterscheiden, somit individuelle Therapieplanungen erarbeitet werden müssen. In dieser Studie haben wir deshalb hypostasiert, dass bei Alkoholabhängigen therapierelevante geschlechtsspezifische Unterschiede unabhängig sind von Suchtschwere und Suchtverlangen sowie über den gendersensiblen Therapieverlauf hinaus bestehen bleiben.

Methodik:

In unseren Fachkliniken St. Marienstift Dammer Berge (legale Suchtmittel/Glückspiel, Männer) und St. Vitus (legale Suchtmittel, Frauen) wurden daher über einen Aufnahmeeinschlusszeitraum von 9 Monaten für alle Patient*innen mit Alkoholabhängigkeit folgende Parameter erhoben (nm = 132, nf = 106): Bei Aufnahme Suchtschwere (AUDIT), Suchtmittelwirksamkeitserwartung (SuWiE), bei Aufnahme und Entlassung Suchtverlangen (MaCS), Selbstwirksamkeitserwartung (SWE), psychische, physische und soziale Lebensqualität (HEALTH-49). Datenanalyse erfolgte mit T-Test (unabhängige Stichproben, p < 0,05; SPSS/PC), zur Analyse der genderbezogenen relativen Therapieveränderungen wurden Aufnahmewert-Entlassungswert/Aufnahmewert verglichen.

Ergebnisse:

In den Suchtbasischarakteristika von Suchtschwere und Suchtverlangen zeigen sich männliche und weibliche Patienten von Beginn an vergleichbar und deutlich im pathologischen Bereich (AUDIT m = 19,9, w = 19,7). Jedoch beschreiben sich Frauen im Vergleich zu Männern bei Behandlungsaufnahme mit signifikant höheren Erwartungswerten zur Suchtmittelwirksamkeit sowie mit signifikant höheren Betroffenheitsscores für somatische, depressive, ängstliche, interaktionelle Beschwerden und geben andererseits eine signifikante Verminderung von Wohlbefinden und Selbstwirksamkeitserwartung (SWE m = 40, w = 32) an. Dies gilt auch zum Entlassungszeitpunkt. Betrachtet man aber die relativen Veränderungen über den Zeitraum unserer gendersensiblen Therapiekonzepte, so profitieren beide Geschlechter vergleichbar und nur bei der Selbstwirksamkeitserwartung können Frauen nicht so zugewinnen, dass sie mit Männer gleichziehen; neu zeigt sich, dass wiederum Männer signifikant weniger an Aktivität und Partizipation zugewinnen können als Frauen.

Schlussfolgerung:

Alkoholabhängigkeit in ihren Basisfunktionen von Suchtschwere und Suchtverlangen zeigt keine Geschlechtsunterschiede, gendersensibel unterschiedlich sind aber die bei Aufnahme und Entlassung wahrgenommenen Beschwerden und Erwartungen. Betrachtet man jedoch die in gendersensibler Behandlung erreichten Veränderungsbefähigungen, dann können beide Geschlechter gleichermaßen von solcher Therapie profitieren. Insofern erscheint bedeutsam, dass auch in Suchtrehabilitation Gender beforscht und in Therapiekonzepten umgesetzt wird.