Geburtshilfe Frauenheilkd 2018; 78(01): 83-92
DOI: 10.1055/s-0038-1625052
Abstracts
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Denkschrift der Puerperalfieber-Commission der Berliner Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynäkologie (1877) und ihre Consequenzen für die Sanitätspolizei

M David
1   GGGB, Berlin
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Publication Date:
11 January 2018 (online)

 

Die Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynäkologie in Berlin (GGGB) ist eine der ältesten wissenschaftlichen Gesellschaften Deutschlands. Vielleicht unter dem Einfluss des auch sozialpolitische aktiven Rudolf Virchow und dem Eindruck der zahlreichen mütterlichen Sterbefälle am sog. Wochenbettfieber legte eine von der GGGB beauftragte Puerperalfieber-Kommission im Dezember 1877 dem Preußischen Kultusministerium eine Denkschrift vor, in der die Kommission konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung des Wochenbettfieber vorschlägt. Es werden Zahlen vorgelegt, die über die Krankheits- und Todesfälle durch das Wochenbettfieber Auskunft geben und die epidemiologische Situation beschreiben. Für einen repräsentativen Zeitraum überprüften die Mitglieder der Kommission die Diagnosen der Totenscheine zur den Müttersterbefällen in Berlin. Dabei stellte sich heraus, dass deutlich mehr Frauen am Wochenbettfieber gestorben waren, als durch die Berliner Behörden angegeben: Zwischen 1869 und 1877 starben durchschnittlich 16 Frauen pro Monat in Berlin am Puerperal-Fieber, die Sterblichkeit schwankte zwischen 1 auf 107 und 1 auf 297 Entbundene pro Jahr. Die Puerperalfieber-Kommission schlug Folgendes, um die Situation in Berlin zu verbessern: Wenn die Erkrankung bereits eingetreten ist, soll eine „Verschleppung“ auf andere Wöchnerinnen unbedingt verhindert werden. Die Puerperalfieber-Kommission geht davon aus, dass vor allem Hebammen von einer kranken Wöchnerin den „ansteckenden Stoff“ weitertragen, sodass eine größere Anzahl von Wöchnerinnen im Anschluss erkrankte und zum Teil starb. Daher empfiehlt die Kommission durch Gesetz für alle „Medizinalpersonen“ eine „Anzeigepflicht für Puerperalfiebererkrankungen an die sanitätspolizeilichen Behörden festzulegen“. Auch Hebammen sollen verpflichtet werden, jede tödlich abgelaufene Wochenbetterkrankung aus ihrer Praxis zu melden, damit die „sanitätspolizeilichen Behörden“ die Möglichkeit haben, frühzeitig auf die Entstehung von Puerperalfieber-Epidemien aufmerksam zu werden. Die Kommission fordert, dass die „sanitätspolizeilichen Behörden“ das Recht haben, der Hebamme die Ausübung ihrer Praxis für eine bestimmte Zeit zu untersagen. Am Ende der Denkschrift wird der Hoffnung Ausdruck gegeben, „...dass bei Durchführung der oben skizierten Maßregeln die Sterblichkeit an Puerperalfieber sehr erheblich abnehmen wird und dass somit dem Staate und der Familie alljährlich einige tausend junger Mütter, die jetzt sterben, erhalten werden können...“.