Nervenheilkunde 2015; 34(06): 430-435
DOI: 10.1055/s-0038-1627422
Ärztlich assistierter Suizid
Schattauer GmbH

Suizidprävention und ärztlich assistierte Selbsttötung

Ein unauflösbarer ethischer Widerspruch für Psychiater?Suicide prevention and physician-assisted suicideAn irresolvable ethical contradiction for psychiatrists?
J. Gather
1   Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Ruhr-Universität Bochum;
2   2Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin, LWL-Universitätsklinikum Bochum, Ruhr-Universität Bochum
,
J. Vollmann
1   Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Ruhr-Universität Bochum;
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

eingegangen am: 25 February 2015

angenommen am: 04 March 2015

Publication Date:
25 January 2018 (online)

Zusammenfassung

In der aktuellen gesellschaftlichen Debatte um die ärztlich assistierte Selbsttötung wird das Argument vorgebracht, dass die ärztliche Unterstützung bei der Selbsttötung eines Patienten den Aufgaben und Zielen der Suizidprävention zuwiderlaufe und daher abzulehnen sei. In einer ethischen Analyse werden zunächst die normativ relevanten Unterschiede zwischen den häufigen, von selbstbestimmungsunfähigen Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen bzw. Menschen in akuten psychosozialen Krisensituationen begangenen Suiziden und den seltenen, von selbstbestimmungsfähigen Patienten angesichts schwerer und unheilbarer Erkrankung geäußerten Selbsttötungsabsichten aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund wird dafür argumentiert, dass Suizidprävention und ärztlich assistierte Selbsttötung keinen unauflösbaren ethischen Widerspruch darstellen müssen. Anstatt eine ärztliche Unterstützung bei der Selbsttötung als unter allen Umständen unzulässig anzusehen, sollten Psychiater vielmehr ihr Fachwissen zu Suizidalität und zur Beurteilung der Selbstbestimmungsfähigkeit in die ethische Debatte einbringen und den interdisziplinären Austausch mit anderen medizinischen Disziplinen (insbesondere der Palliativmedizin) suchen.

Summary

In the current public debate on physician-assisted suicide it is argued that medical assistance in the suicide of a patient contravenes the tasks and aims of suicide prevention and therefore should be rejected. In an ethical analysis we first point out the normatively relevant differences between the cases of suicides of patients with severe mental disorders or people in acute psychosocial crisis situations who lack mental capacity versus the rare cases in which competent patients suffering from severe and incurable diseases express the wish to kill themselves. Against this background we argue that suicide prevention and physician-assisted suicide are not necessarily a contradiction. Instead of rejecting physician-assisted suicide as illegitimate under all circumstances, psychiatrists should rather introduce their specialized knowledge about suicidality and assessment of mental capacity into the ethical debate and seek an interdisciplinary exchange with other medical disciplines (especially that of palliative care).