Zusammenfassung
In der aktuellen gesellschaftlichen Debatte um die ärztlich assistierte Selbsttötung
wird das Argument vorgebracht, dass die ärztliche Unterstützung bei der Selbsttötung
eines Patienten den Aufgaben und Zielen der Suizidprävention zuwiderlaufe und daher
abzulehnen sei. In einer ethischen Analyse werden zunächst die normativ relevanten
Unterschiede zwischen den häufigen, von selbstbestimmungsunfähigen Patienten mit schweren
psychischen Erkrankungen bzw. Menschen in akuten psychosozialen Krisensituationen
begangenen Suiziden und den seltenen, von selbstbestimmungsfähigen Patienten angesichts
schwerer und unheilbarer Erkrankung geäußerten Selbsttötungsabsichten aufgezeigt.
Vor diesem Hintergrund wird dafür argumentiert, dass Suizidprävention und ärztlich
assistierte Selbsttötung keinen unauflösbaren ethischen Widerspruch darstellen müssen.
Anstatt eine ärztliche Unterstützung bei der Selbsttötung als unter allen Umständen
unzulässig anzusehen, sollten Psychiater vielmehr ihr Fachwissen zu Suizidalität und
zur Beurteilung der Selbstbestimmungsfähigkeit in die ethische Debatte einbringen
und den interdisziplinären Austausch mit anderen medizinischen Disziplinen (insbesondere
der Palliativmedizin) suchen.
Summary
In the current public debate on physician-assisted suicide it is argued that medical
assistance in the suicide of a patient contravenes the tasks and aims of suicide prevention
and therefore should be rejected. In an ethical analysis we first point out the normatively
relevant differences between the cases of suicides of patients with severe mental
disorders or people in acute psychosocial crisis situations who lack mental capacity
versus the rare cases in which competent patients suffering from severe and incurable
diseases express the wish to kill themselves. Against this background we argue that
suicide prevention and physician-assisted suicide are not necessarily a contradiction.
Instead of rejecting physician-assisted suicide as illegitimate under all circumstances,
psychiatrists should rather introduce their specialized knowledge about suicidality
and assessment of mental capacity into the ethical debate and seek an interdisciplinary
exchange with other medical disciplines (especially that of palliative care).
Schlüsselwörter Suizidprävention - ärztlich assistierte Selbsttötung - Selbstbestimmungsfähigkeit
- Medizinethik
Keywords Suicide prevention - physician-assisted suicide - mental capacity - medical ethics