Geburtshilfe Frauenheilkd 2019; 79(01): 97
DOI: 10.1055/s-0038-1676888
Wissenschaftliche Sitzung am 16.05.2018
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mythen und Fakten in der Senologie

E Keil
1   Gynäkologie und Geburtshilfe der Oberhavel Kliniken, Klinik Oranienburg
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
17. Januar 2019 (online)

 

Mythen, ausgezeichnet von hochgradiger Beständigkeit, durchziehen jeden Bereich der medizinischen Versorgung. Die Senologie mit ihren biologischen, physiologischen und anatomischen Grundlagenfächern über diagnostische und therapeutische Verfahren bis hin zu Nachsorge und Krankheitsprävention ist davon nicht ausgenommen. Schon in der griechischen Mythologie war die Brust ein Symbol für Mutterschaft, weibliche Schönheit, Fruchtbarkeit und Großzügigkeit. Erste Erkenntnisse über Erkrankungen der weiblichen Brust stammen aus dieser Zeit. Damals und in den folgenden Jahrhunderten kamen Mythen auf zur Entstehung und über die Psychoätiologie von Brustkrebs. Das Abwenden von der Religion, akute Belastungssituationen und Stress werden bis heute für die Krebsentstehung verantwortlich gemacht. Umfangreiche Studien konnten jedoch keinen Zusammenhang zwischen objektiver Belastung, subjektivem Empfinden und Krebshäufigkeit beweisen. Indirekt wirkt Stress auf die Krebsentstehung durch eine ungesunde Lebensweise. Stress kann auch durch schlechtere Krankheitsverarbeitung und Lebensqualität zu ungünstigen Verläufen führen. Unter Umständen wird die Behandlung weniger intensiv verfolgt und von den Betroffenen weniger aktiv mitgetragen. Mythen fehlt es an der wissenschaftlichen Evidenz. Sie sind jedoch nicht nur amüsant oder skurril, sie erschweren den Zugang zur Diagnostik, zur Ablehnung von Screening-Maßnahmen und der Therapie. Sie führen zur Alternativmedizin und auch zur medizinischen Überversorgung. Kulturell gibt es große Unterschiede. Eingeschränkte Kenntnisse führen zu Hindernissen in der Früherkennung sowie zu eingeschränkter Patientenversorgung, was wiederum mit einer schlechteren Prognose der Patientinnen verbunden ist. Der Vortrag beschäftigt sich auch mit heutigen Irrtümern in der Epidemiologie. So werden Brustkrebspatientinnen, so wie häufig angenommen, über die Jahre nicht immer jünger. Junge Brustkrebspatientinnen werden jedoch anders wahrgenommen. Innerhalb des letzten Jahrhunderts haben sich die Diagnostik und die Therapie des Mammakarzinoms rasant verbessert. Vieles, was noch vor ein bis zwei Jahrzehnten als gegebene Gewissheit angesehen wurde, gilt heute als überholt. Andererseits werden auch heute akzeptierte und leitliniengemäße Therapieverfahren von Patienten und auch von Ärzten mit zu hohen Erwartungen verbunden. Vor dem Einsatz von Bestrahlung und Systemtherapien sind daher Nutzen und Risiko für jede Patientin individuell abzuwägen.