Gesundheitswesen 2019; 81(08/09): 750
DOI: 10.1055/s-0039-1694622
Kongresstag 3: 18.09.2019
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interkulturelle Öffnung im Gesundheitswesen: Ergebnisse einer Teilnehmenden Beobachtung in zwei Krankenhäusern und zwei ambulanten Pflegediensten

L Peppler
1   Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft Charité Universitätsmedizin Berlin, Berlin
,
PT Sonntag
1   Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft Charité Universitätsmedizin Berlin, Berlin
,
L Schenk
1   Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft Charité Universitätsmedizin Berlin, Berlin
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Publication History

Publication Date:
23 August 2019 (online)

 

Einleitung:

Das Gesundheitswesen sieht sich aufgrund zahlreicher (post-)migrantischer Patient*innen, Pfleger*innen und Ärzt*innen einer zunehmenden Pluralisierung gegenüber. Daraus ergibt sich die Frage, inwiefern sich alltägliche Abläufe, Arbeitskulturen und institutionelle Rahmenbedingungen durch diese interkulturelle Vielfalt verändern.

Methode:

Die Teilnehmende Beobachtung wurde zwischen Mai und September 2018 an 22 Tagen in zwei ambulanten Pflegediensten und zwei Krankenhäusern mit jeweils unterschiedlichem Grad der interkulturellen Öffnung (IKÖ) durchgeführt, um den Berufsalltag des Gesundheitspersonals sowie den Patientenalltag zu rekonstruieren. Die anonymisierten Aufzeichnungen umfassen u.a. Besprechungen, Pflegetouren, Übergaben und Visiten. Die Beobachtungsprotokolle wurden mittels dokumentarischer Methode analysiert und auf zwei Ebenen verglichen: a) Grad der IKÖ; b) Sektorzugehörigkeit (ambulant vs. stationär).

Ergebnisse:

Die Ergebnisse zeigen sektorspezifische Auswirkungen der IKÖ hinsichtlich Organisation und alltäglicher Arbeitsabläufe. Das Gesundheitspersonal des Krankenhauses mit IKÖ zeigte bezüglich der dort regelmäßigen Versorgung (post-)migrantischer Patient*innen routinierte Arbeitsabläufe und gelassene Reaktionen bei Verständigungsschwierigkeiten, während dasjenige des Krankenhauses ohne IKÖ in solchen – dort seltenen – Fällen eine stressbedingte Abwehrhaltung zeigte. In den ambulanten Pflegediensten verhält es sich andersherum: Die Versorgung (post-)migrantischer Patient*innen wurde im Pflegedienst mit IKÖ als aufwändiger empfunden als in dem ohne IKÖ, weil die (post-)migrantischen Mitarbeiter*innen wiederholt sozialpädagogische Zusatzarbeit leisten, die nicht als Pflegeleistungen abzurechnen sind. Die Vorteile des migrationsspezifischen Wissens der Mitarbeiter*innen, nämlich eine bessere Patientenversorgung, wirken sich unter den Rahmenbedingungen des ambulanten Pflegewesens nachteilig für den Pflegedienst aus.

Diskussion:

Zu diskutieren ist, welche Synergieeffekte sich aus der Einbindung (post-)migrantischen Gesundheitspersonals und der Versorgung (post-)migrantischer Patient*innen ergeben bzw. inwiefern institutionelle Rahmenbedingungen verändert werden sollten, um solche Effekte besser für die Versorgung zu nutzen.