Suchttherapie 2019; 20(S 01)
DOI: 10.1055/s-0039-1696150
Symposien
S18 Störungen im Grenzbereich der Verhaltenssüchte
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sexsucht: Neue Erkenntnisse aus der Sex@Brain Studie

T Krüger
Medizinische Hochschule Hannover
,
M Veit
Medizinische Hochschule Hannover
,
C Sinke
Medizinische Hochschule Hannover
,
J Engel
Medizinische Hochschule Hannover
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
03 September 2019 (online)

 

Einleitung Die Sex@Brain-Study ist eine der größten klinischen und neurobiologischen Untersuchungen zum sog. Störungsbild „Sexsucht“, „hypersexuelle Störung“ (HD) oder „compulsary sexual behavior“ wie es zukünftig in der ICD-11 aufgeführt werden wird. Das Störungsbild ist bislang noch nicht ausreichend untersucht und dem klinisch Tätigen fehlen umfassende Informationen zur Ätiologie und Klinik dieser Erkrankung.

Methode In der Erhebung wurden insgesamt 50 Personen eingeschlossen, die die Kriterien nach Kafka für eine hypersexuelle Störung erfüllten und mit 40 Kontrollprobanden verglichen. Es wurden umfassende klinische Erhebungen, neuropsychologische Verfahren und bildgebende Untersuchungen durchgeführt, die zum einen die Stichproben klinisch charakterisieren und zum anderen bisherige Störungsmodelle überprüfen sollten.

Ergebnisse In den klinischen Erhebungen zeigten Männer mit HD signifikant höhere Prävalanzen für Depressionen (current & lifetime), ADHS, allgemeine Impulsivität, Alexithymie sowie maladaptive Strategien in der Emotionsregulation. Zudem zeigten sich im Vergleich zu Kontrollprobanden negative Vorerfahrungen in Beziehungen zu nahestehenden Personen sowie erhöhte Raten von Missbrauchserfahrungen in der eigenen Biografie. Sexualmedizinisch imponierte ein früheres Einsetzen von Selbstbefriedigung, eine um den Faktor 6 erhöhte Zahl an Koituspartner (86 vs. 15), höhere Raten an Paraphilien (47% vs. 3%) und Hinweise für sexuelle Grenzverletzungen (70 vs. 21%) bzw. Konsum von Kindesmissbrauchsabbildungen (81% vs. 0%).

Bei der Untersuchung von Aufmerksamkeitsprozessen und impliziten Assoziationen (Approach Avoidance Task und Implicit Association Test) zeigten sich die Befunde unter Männern mit HD vergleichbar zu den Befunden bei substanzgebundenen Störungen.

Funktionell bildgebende Befunde (z. B. valenced n-back, emotion regulation) belegen störungsspezifische Auffälligkeiten in der Aufgabenbewältigung bzw. Reizverarbeitung sowohl auf der Verhaltensebene als auch in der neuronalen Prozessierung, die insbesondere durch den Gyrus lingualis vermittelt zu sein scheint.

Diskussion Diese umfassenden Befunde sollen im Vortrag vor dem Hintergrund bisheriger Erkenntnisse zu HD und anderen Abhängigkeitserkrankungen diskutiert und Schlussfolgerungen für die klinische Versorgung gezogen werden.