Suchttherapie 2019; 20(S 01)
DOI: 10.1055/s-0039-1696163
Symposien
S21  Psychometrische Diagnostik bei Suchterkrankungen in der Routineversorgung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kann aufwändige psychometrische Diagnostik Behandlungsbedarfe bei alkoholabhängigen Drehtür-Patienten identifizieren?

U Frischknecht
1   Feuerlein Centrum für Translationale Suchtmedizin, Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
,
A Steinhauser
1   Feuerlein Centrum für Translationale Suchtmedizin, Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
,
S Hoffmann
1   Feuerlein Centrum für Translationale Suchtmedizin, Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
,
I Mayer
1   Feuerlein Centrum für Translationale Suchtmedizin, Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
,
B Richter
2   Feuerlein Centrum für Translationale Suchtmedizin, Klinik für Suchttherapie und Entwöhnung, Psychiatrisches Zentrum Nordbaden, Wiesloch
,
D Hermann
1   Feuerlein Centrum für Translationale Suchtmedizin, Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
,
F Kiefer
1   Feuerlein Centrum für Translationale Suchtmedizin, Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
03 September 2019 (online)

 

Einleitung Alkoholabhängigkeit verursacht hohe Kosten im Gesundheitssystem. Nach den Routinedaten der beiden wichtigsten stationären Einrichtungen innerhalb eines Versorgungsgebietes sind ca. 3,5% der dort behandelten Patienten mit Alkoholabhängigkeit für ca. 20% der stationären Aufnahmen verantwortlich. Diese Patientengruppe verursachte mindestens 5 stationäre Aufnahmen in den letzten 12 Monaten, bzw. mindestens 10 Aufnahmen in den letzten 60 Monaten. Dies spricht dafür, dass diese Patientengruppe, trotz starker Inanspruchnahme (Heavy Use) des therapeutischen Angebotes, nicht ausreichend davon profitiert. Eine ungünstigere Prognose bei Alkoholabhängigkeit besteht bei psychischer Komorbidität, insbesondere bei adultem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADHS), traumatischen Lebenserfahrungen und/oder emotionaler Instabilität. Ziel der Untersuchung ist es, diesbezügliche Behandlungsbedarfe mit standardisierter, in der Routineversorgung schwer realisierbarer Diagnostik zu identifizieren.

Methode In einer vergleichenden Querschnittserhebung, wurde eine ausführliche klinische Diagnostik mittels interview- und fragebogenbasierten Selbst- und Fremdbeurteilungsinstrumenten durchgeführt. Dazu wurden Patienten mit Heavy Use und Patienten einer Vergleichsgruppe mit seltener Behandlungsinanspruchnahme untersucht und verglichen. Neben kategorialer Auswertung der Diagnosen, die mit den klinischen Routinedaten verglichen wurde, erfolgt eine dimensionale Auswertung der psychometrisch erfassten Phänotypen.

Ergebnis Es wurden N = 56 Heavy User und N = 58 Patienten der Vergleichsgruppe untersucht. Bei den Heavy Usern zeigte sich keine erhöhte Prävalenz in der kategorialen Auswertung von ADHS, Posttraumatischer Belastungsstörung oder emotional instabiler Persönlichkeitsstörung verglichen mit der Vergleichsgruppe. In dimensionaler psychometrischer Untersuchung zeigt sich eine signifikant stärkere Symptombelastung in den vorliegenden Symptomen über verschiedenste Symptombereiche hinweg, gemessen mit dem Brief-Symptom-Inventar.

Diskussion Auch mit ausführlicher klinischer Diagnostik in einem speziellen wissenschaftlichen Setting konnte bei den Patienten mit häufigen stationären Aufnahmen wegen Alkoholabhängigkeit keine höhere Komorbidität der Vollbilder der erwarteten psychischen Störungen gefunden werden als bei den PatientInnen der Vergleichsgruppe. Ein signifikanter Unterschied im Brief-Symptom-Inventory spricht dafür, dass eine stärkere Symptombelastung durch undifferenziert vorliegende Symptome bei den Heavy-Usern vorliegt. Sollte sich in prospektiven Studien ein prognostischer Wert dieses Befundes ergeben, kann dieser in der Routineversorgung zur Behandlungsallokation genutzt werden.