Suchttherapie 2019; 20(S 01)
DOI: 10.1055/s-0039-1696255
Symposien
S44 Alkohol und Sucht
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Krankheitserleben und -verarbeitung bei Alkoholabhängigkeit aus Sicht der Betroffenen: Befunde der ART-COPE-Studie

T Stamer
Universität zu Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
,
A Bischof
Universität zu Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
,
M Brandes
Universität zu Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
,
HJ Rumpf
Universität zu Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
,
G Bischof
Universität zu Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
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Publication History

Publication Date:
03 September 2019 (online)

 

Einleitung Der Anteil von hilfesuchenden Individuen mit Alkoholabhängigkeit ist gering. Vorhergegangene Studien haben Hindernisse untersucht, die Betroffene vor der Inanspruchnahme von Behandlung erleben. Im Vordergrund standen dabei Komorbidität, strukturelle Hürden, Scham und Stigmatisierung. Die meisten dieser Studien basieren jedoch auf standardisierten Umfragen, mittels derer es häufig nicht möglich ist, Ursachen für eine Nichtinanspruchnahme von Behandlung aus Sicht der Betroffenen zu erfassen.

Methode Die Studie „Alcohol-related treatment: a consumerʼs perspective (ART-COPE)“ hat zum Ziel, die Entwicklung von problematischem Trinkverhalten, Bewältigungsmechanismen und Problembewusstsein aus der Sicht von Betroffenen zu untersuchen. Dies erfolgt mittels narrativer Interviews auf Basis der Reflective Grounded Theory. Spezielles Augenmerk liegt dabei auf der Wahrnehmung von Behandlungsangeboten von Betroffenen mit Alkoholabhängigkeit ohne Behandlungserfahrung. Betroffene mit und ohne Behandlungserfahrung wurden proaktiv in Allgemeinarztpraxen und Krankenhäusern rekrutiert. Alle Interviews werden aufgezeichnet, wortwörtlich transkribiert und mittels MAXQDA analysiert. Das Ziel sind 25 interviewte Studienteilnehmer. Bislang wurden zehn Interviews realisiert.

Ergebnisse Alle Teilnehmer gaben an, dass das Trinken im familiären und sozialen Kontext sowohl im Jugend- als auch im Erwachsenenalter als normal galt. Der Faktor Familie wurde dabei sowohl als Stressfaktor und begünstigend für problematisches Trinkverhalten als auch als Stütze für Problembewusstsein und Behandlungsinanspruchnahme wahrgenommen. Der Alkoholkonsum diente oft als Mittel der Emotionsregulation und in manchen Fällen als Selbstmedikation gegen Depression. Weitere Themen waren Einsamkeit, Scham und Stigmatisierung. Als Hindernisse bei der Behandlungsinanspruchnahme wurden die Angst vor Autonomieverlust und ein zu hoher bürokratischer Aufwand angegeben. Eine Subgruppe von Teilnehmern mit weniger stabilem Muster von Alkoholabhängigkeit gab das Bedürfnis nach Kontrolle des Konsums als Hürde für die Inanspruchnahme formeller Hilfen an.

Diskussion Um die Inanspruchnahme formeller Hilfen bei Individuen mit Alkoholabhängigkeit zu erhöhen, sollten soziale und familiäre Strukturen gestärkt werden. Ebenso könnten ein geringerer bürokratischer Aufwand und ein stärkeres Augenmerk auf shared decision making zu erhöhter Behandlungsinanspruchnahme führen.