Z Geburtshilfe Neonatol 2019; 223(S 01): E1-E2
DOI: 10.1055/s-0039-3401074
Vorträge
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Individuelle Schwangerschaftsdauer – die Reife ist nicht errechenbar

D Zeeb
1   Fachhochschule Salzburg, Studiengang Hebammen, Puch, Österreich
,
C Berger
2   Diploma Hochschule Nordhessen, Bad Sooden-Allendorf, Deutschland
,
C Loytved
3   Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur, Schweiz
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
27 November 2019 (online)

 

Einleitung:

Seit über 200 Jahren wird versucht, mit zunächst rechnerischen und später auch sonographischen Methoden den voraussichtlichen Geburtstermin zu bestimmen. Ursprünglich für eine grobe Einteilung der Schwangerschaftsphasen gedacht, entwickelt sich der errechnete Termin (ET) bei SSW 40+0 zunehmend zu einer strikten Grenze, deren Überschreitung als Risiko gewertet wird. Routinemäßig wird der ET als Ausgangspunkt für Interventionen wie terminierte Kaiserschnitte und Einleitungen wegen Terminüberschreitung genutzt. Dass der Reifezustand von Neugeborenen (NG) erfahrungsgemäß nicht zwingend mit dem errechneten Gestationsalter (GA) korreliert, wird wenig beachtet. Es ist jedoch fraglich, inwiefern der rechnerische Termin Aussagekraft hat, um das physiologische Ende der Schwangerschaft vorherzusagen und wie linear das errechnete GA mit den individuellen Reifungsprozessen des Kindes in utero korreliert. Ziel der Arbeit war zu bestimmen, inwiefern Neugeborene in ihrem Reifezustand dem errechneten GA entsprechen.

Methode:

100 reifgeborene Kinder (rechnerisch SSW 37+4 bis SSW 42+6) wurden in den ersten 72 Lebensstunden nach dem New Ballard Score auf ihre Reife hin untersucht. Die Stichprobe wurde hinsichtlich des Einflusses mütterlicher und kindlicher Faktoren auf die Schwangerschaftsdauer und auf die Reife der Neugeborenen überprüft. Dabei wurden Alter, Parität, Größe und Gewicht der Mutter sowie das Geschlecht des Kindes berücksichtigt. Das Verhältnis zwischen errechnetem GA und der erreichten Reife sowie Unterschiede zwischen den Gruppen mit spontanem und induziertem Geburtsbeginn wurden analysiert. Die Daten wurden mit SPSS 24 statistisch ausgewertet. Dabei wurden der gepaarte und der ungepaarte t-Test eingesetzt und Varianzanalysen (ANOVA) durchgeführt.

Ergebnisse:

In der Studie wurde kein Einfluss mütterlicher und kindlicher Faktoren auf die Schwangerschaftsdauer sowie auf die Reife der NG festgestellt. In der Stichprobe besteht allerdings ein signifikanter Unterschied zwischen dem errechneten GA und dem befundeten Reifealter bei p = 0.047. Diese Abweichung wird noch deutlicher, wenn der ET überschritten wurde. Für Geburten nach SSW 40+0 (n = 49) besteht in der Stichprobe mit p < 0,001 kein Zusammenhang des errechneten GA mit dem befundeten Reifealter. Je weiter vor dem ET die Geburt stattfand, desto weiter wichen die Neugeborenen in ihrer Reife vom GA nach oben ab. Je weiter der ET überschritten wurde, desto weiter wichen die Neugeborenen in ihrer Reife nach unten ab (Abb. 1 und 2). Bei Einleitungen war eine Unreife > 7Tage wahrscheinlicher als bei spontanem Geburtsbeginn (RR 3,35 KI 1,89 bis 4,16).

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Abb. 1: Vergleich Gestationsalter und Reifealter nach SSW
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Abb. 2: Abweichung Reifealter vom Gestationsalter nach SSW

Diskussion:

Besonders bei Überschreitung des ET deutet sich an, dass das rechnerische GA keine diagnostische Aussagekraft für den Reifezustand des Kindes hat. Die Indikation „Überschreitung des Termins“ für Einleitungen ist aus diesem Gesichtspunkt kritisch zu hinterfragen. Forschung in einer größer angelegten Studie wäre wünschenswert.