Laryngorhinootologie 2016; 95(S 01): S13-S37
DOI: 10.1055/s-0041-108949
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Qualitative Umfrage zur Identifizierung von Evidenzlücken in der HNO-Heilkunde

Gaps of Evidence in ENT-Surgery – a Qualitative Survey
J. Löhler
1   Deutsches Studienzentrum für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Bonn
2   Wissenschaftliches Institut für angewandte HNO-Heilkunde, Bad Bramstedt
,
B. Akcicek
2   Wissenschaftliches Institut für angewandte HNO-Heilkunde, Bad Bramstedt
,
F. Müller
3   Lehrstuhl für HNO-Heilkunde, Philipps-Universität, Marburg
,
G. Dreier
1   Deutsches Studienzentrum für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Bonn
4   Studienzentrum des Universitätsklinikums, Freiburg
,
J. J. Meerpohl
5   Cochrane Germany, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg
,
W. Vach
6   Department für Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg
,
J. Werner
1   Deutsches Studienzentrum für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Bonn
3   Lehrstuhl für HNO-Heilkunde, Philipps-Universität, Marburg
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Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. April 2016 (online)

Zusammenfassung

Einleitung: Der Zuwachs des Wissens in der HNO-Heilkunde übersteigt, wie in den anderen Disziplinen auch, seit langem die individuellen Möglichkeiten, dieses Wissen adäquat aufzunehmen und einen entsprechenden Überblick zu behalten. Somit können tatsächliche oder vermeintliche Wissenslücken entstehen, die der Weiterentwicklung des Faches und einer evidenzbasierten Behandlung von Patienten entgegenstehen. Zudem gibt es in Kliniken und Praxen traditionelle Lehrmeinungen, die den medizinischen Alltag prägen, ohne dass diese Schulen je hinsichtlich ihrer Evidenz hinterfragt wurden.

Methode: Zwischen Februar und Juni 2015 wurde unter 160 HNO-Kliniken, davon 34 Lehrstuhlinhaber, und 2 670 HNO-Praxen eine 2-armige Online-Umfrage zu vorhandenen oder empfundenen Evidenzlücken im Fachgebiet der HNO-Heilkunde mittels eines zuvor entwickelten Fragebogens durchgeführt. Dabei erfolgte die Befragung zur einen Hälfte in offener Form, zur anderen Hälfte wurde eine Systematik des Fachgebietes den Befragten als Orientierung zur Verfügung gestellt. Ergänzt wurde die Befragung durch Zusatzangaben, wie der Anzahl von Publikationen und Forschungsschwerpunkten bei den Kliniken und dem Lebensalter und der Praxisform bei den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen.

Ergebnisse: Bei den Kliniken gab es eine Rückläuferquote von 39,7%, bei der geschlossenen von 29,3%. Bei den Praxen antworteten 14,6% der geschlossen und 18,6% der offen befragten Ärztinnen und Ärzte. Große Unterschiede ergaben sich zwischen den beiden Befragungsformen nicht. Bei den Kliniken führten mit je etwa 30% otologische und onkologische Themen die Liste der Antworten an. Hierbei wurden zu aktuellen diagnostischen und therapeutischen Problemen, wie z. B. der stadiengerechten Tumortherapie oder bei implantierbaren Hörhilfen, entsprechende Fragen formuliert. Der Schwerpunkt der aus den Praxen stammenden Fragestellungen lag bei diagnostischen Verfahren, z. B. bei speziellen, neuen Verfahren der Audiologie und Vestibulogie. Sowohl Kliniken als auch Praxen benannten aber auch alltagsrelevante Randgebiete des Faches.

Diskussion: Im folgenden müssten die benannten Wissenslücken verifiziert bzw. falsifiziert werden und durch eine entsprechende Literaturrecherche geklärt werden, ob die vorhandene Evidenz tatsächlich bei den Behandlern durch Leitlinien, Publikationen, Kongresse und Fortbildungen im Alltag ankommt. Weitere Schritte wären die Priorisierung der künftigen Forschung, ein Evidenz-Mapping, die Entscheidung für weitere systematische Reviews und gezielte Studien in Verbindung mit der Einwerbung von Drittmitteln und bei der Zusammenarbeit mit Patientenverbänden. Das so gewonnene Wissen sollte schließlich in einer verbesserten Form in den klinischen Alltag transferiert werden. Hierzu sollten für die Bereiche der Kliniken und Praxen jeweils die 10 wichtigsten Fragestellungen formuliert werden.

Abstract

Introduction: As in other disciplines, the burgeoning knowledge in ENT medicine long ago surpassed our ability to adequately absorb it and maintain a proper overview. This can give rise to actual or assumed knowledge gaps that can impede the progress of the discipline and evidence-based treatment of patients. Clinics and medical practices also hold to traditional doctrines that shape day-to-day medicine, without these schools being challenged based on evidence.

Methods: Between February and June 2015, 160 ENT clinics, including 34 university hospitals, and 2,670 ENT practices took part in a two-arm online survey on existing or perceived evidentiary gaps in ENT medicine using a previously development questionnaire. The survey used for half the participants was open in form; the other half were given a closed survey with systematics of the field for orientation. The survey was augmented with additional data such as the number of publications and focus areas in the clinics and the age and type of practice of the established physicians.

Results: The return rate from the clinics was 39.7%; the return rate of the closed surveys was 29.3%. Of the physicians in medical practice, 14.6% responded to the closed and 18.6% to the open survey. There were no major differences between the two forms of survey. Otological and oncological issues comprised approximately 30% of the list of answers from clinics. Corresponding questions were formulated regarding the current diagnostic and therapeutic problems, such as with stage-related tumor treatment or implantable hearing aids. Diagnostic procedures, e.g., special new procedures in audiology and vestibulogy, dominated the surveys from the practices. However clinics and practices alike cited marginal areas of the discipline that are of daily relevance.

Discussion: The cited knowledge gaps then needed to be verified or refuted and clarified based on research of the literature as to whether the existing evidence actually reached healthcare providers in the form of guidelines, publications, conferences or continuing training for application in daily practice. Other steps would include prioritizing future research, evidence mapping, deciding on further systematic reviews, and targeted studies in conjunction with procuring third-party funding and in cooperation with patient associations. The knowledge thus gained should ultimately be transferred in improved form for application in daily clinical practice. Ten questions of key importance each needed to be formulated for the hospitals and practices.