Laryngorhinootologie 2016; 95(09): 638-639
DOI: 10.1055/s-0042-111090
Gutachten + Recht
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Aus der Gutachtenpraxis: Berufliche und außerberufliche Schwerhörigkeit beim Tischler

From the Expert’s Office: Joiner’s deafness
T. Brusis
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Publication Date:
14 September 2016 (online)

Einleitung

2 Tischler kommen am gleichen Tag zur Begutachtung. Der erste ist 50 Jahre alt und hat insgesamt 31 Jahre in Tischlerbetrieben mit extrem lauten hochtourigen holzverarbeitenden Maschinen gearbeitet. Eine zunehmende Schwerhörigkeit hat der Versicherte seit 3–4 Jahren bemerkt, insbesondere, da er das Fernsehen lauter stellt als seine Ehefrau. Von der BG wird im sog. vereinfachten Verfahren ein Tageslärmexpositionspegel von exakt 85 dB (A) angegeben.

Der zweite Tischler ist bereits 68 Jahre alt und noch immer beruflich tätig. Er hat insgesamt 26 Jahre in verschiedenen Tischlerbetrieben gearbeitet. Eine sich schleichend entwickelnde Schwerhörigkeit ist bereits im Alter von 55 Jahren aktenkundig geworden. Vom Präventionsdienst der BG wird ein unpräziser Tageslärmexpositionspegel von 85 dB (A) oder mehr ermittelt.

Während sich beim ersten Tischler im Tonaudiogramm das typische Bild einer Lärmschwerhörigkeit zeigt, weist der zweite Tischler das typische Bild einer degenerativen Schwerhörigkeit auf. Welche Schlussfolgerungen können aus den unterschiedlichen tonaudiometrischen Kurvenverläufen gezogen werden? ([Abb. 1] [2])

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Abb. 1 Bei dem 50-jährigen Tischler findet sich eine lärmtypische Hochtonsenkenbildung mit einem Knick oberhalb 750 Hz und Wiederansteigen der Kurve im ganz hohen Frequenzbereich. Zusätzlich besteht ein kompensiertes Ohrgeräusch beiderseits im Hochtonbereich. Aus dem Tonaudiogramm errechnet sich nach der 3-Frequenz-Tabelle von Röser ein prozentualer Hörverlust von 20%. Die lärmbedingte MdE beträgt 10%.
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Abb. 2 Bei dem 68-jährigen Tischler zeigt sich im Tonaudiogramm ein Flachabfall von den tiefen über die mittleren zu den hohen Frequenzen. Ein derartiger Befund ist typisch für eine sog. degenerative Schwerhörigkeit, also eine Schwerhörigkeit aus innerer Ursache. Die leichte Zackenbildung bei 2 000 und 6000 Hz, besonders auf der linken Seite, ist nicht mit einer sog. c5-Senke zu verwechseln. Die (außerberufliche) MdE beträgt ebenfalls 10%.
 
  • Literatur

  • 1 Brusis T. Schwerhörigkeit beim Lärmarbeiter=Lärmschwerhörigkeit?. HNO-Nachrichten 2007; 5: 2-5
  • 2 Brusis T. Aus der Gutachtenpraxis: c5-Senke=Lärmschwerhörigkeit?. Laryngo-Rhino-Otol 2009; 88: 733-735
  • 3 Brusis T. Ist das eine Lärmschwerhörigkeit?. HNO-Informationen 2014; 26-29
  • 4 Swoboda H, Welleschick B. Zur Entwicklung endogener Innenohrschwerhörigkeiten unter beruflicher Lärmexposition. Laryngo-Rhino-Otol 1991; 70: 463
  • 5 Feldmann H, Brusis T. Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes. 7. Aufl. Thieme Verlag; 2012