neuroreha 2016; 08(03): 143
DOI: 10.1055/s-0042-111674
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Veranstaltungsbericht

Kongressbericht Tagung Neurophysiotherapie in London ACPIN
Jan Mehrholz
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Publication Date:
09 September 2016 (online)

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Abb. 1 Queen Elizabeth II Conference Centre (Abb.: Jan Mehrholz)

Am 17. und 18. März 2016 fand im Queen Elizabeth II Conference Centre in London eine Neurophysiotherapiekonferenz statt.

Die internationale Konferenz wurde gemeinsam von der englischen Physiotherapieorganisation Association of Chartered Physiotherapists in Neurology (ACPIN) und der International Neurological Physical Therapy Association (INPA) ausgerichtet.

Insgesamt nahmen 600 Teilnehmer, die meisten aus Großbritannien, teil. Für das Programm eingeladen wurden 25 internationale Redner. Das Konferenzprogramm enthielt jeweils drei bis vier parallele Sitzungen.

Am ersten Tag sprach die Präsidentin des Weltphysiotherapieverbandes (WCPT), Dr. Emma Stokes aus Dublin, zur Bedeutung der internationalen Neurophysiotherapie.

Später hielt Professor Derick Wade aus Oxford seinen Hauptvortrag „Wie kann man wissenschaftliche Evidenz nutzen, Leitlinien folgen und vertrauen und wie kann man Patienten zentriert behandeln – und das alles zur gleichen Zeit?“. Er beschrieb mehrere Beispiele, u. a. beim Thema Bewusstseinsstörungen, welche Kontroversen durch Leitlinien und mangelnde Definitionen von Begriffen in der Rehabilitation entstehen.

In einem weiteren Vortrag beschrieb Professor Sheila Lennon aus Adelaide, Australien, ein Kreistraining zur Balance und Mobilitätsverbesserung und zur Sturzprävention bei Multipler Sklerose. In mehreren Studien zeigte sich, dass sogenannte „Beinahe-Stürze“ durch ein solches Gruppentraining verhindert werden könnten.

In einem Workshop machte Professor Louise Ada von der Universität Sydney, Australien, mit dem Thema „Keine Größe passt allen gleich gut!“ deutlich, dass gerade beim Gehtraining nach Schlaganfall sehr unterschiedliche Therapieansätze gewählt werden müssen. So sollte bei Patienten mit geringen motorischen Einschränkungen ihrer Meinung nach sehr intensive Therapieeinheiten in Bezug auf die Gehgeschwindigkeit und die Herz-Kreislauf-Belastung gewählt werden.

In einem Hauptvortrag präsentierte Professor Gert Kwakkel aus Amsterdam, Niederlande, die aktuellsten Ergebnisse von Studien zur Wiedererholung der Armfunktion nach Schlaganfall. So z. B. die EXPLICIT-Studie, die Patientengruppen nach ihrer Prognose zum Armtraining einteilte. Er beschrieb, dass sich für leicht betroffene Patienten mit guter Prognose ein Forced-Use-Trainingsansatz besonders eignet. Bei Patienten hingegen, die deutlich stärker betroffen sind und eine schlechtere Prognose haben, konnte er keinen Vorteil durch Elektrostimulation nachweisen.

Professor Sarah Tyson aus Manchester, Großbritannien, präsentierte einen interdisziplinären Ansatz zur optimalen Organisation der Rehabilitation (IMPRES-Studie). Sie beschrieb individuelle Zeitpläne in der Rehabilitation, forderte hohe Selbstübungsanteile sowie Gruppentherapieansätze und zeigte die Bedeutung der sozialen Einbindung von Patienten durch die Rehabilitation.

Professor Steve Wolf aus Boston, USA, forderte in seinem Vortrag, dass wichtige Zukunftstrends von Therapeuten in der Neuroreha nicht verpasst werden dürfen. Solche Zukunftstrends sind seiner Meinung nach die genetische Forschung, die Medikamentenforschung, aber auch die Telerehabilitation. Er stellte eine schon entwickelte App vor, die derzeit beste wissenschaftliche Evidenz für Physio- und Ergotherapeuten auf einem Smartphone verfügbar machen soll.

Professor Janis Eng aus Vancouver, Kanada, trug zum Thema tragbare Sensoren (z. B. Pedometer) in der Behandlung, aber auch in der ambulanten Betreuung von Patienten nach Schlaganfall vor. Insbesondere sei es wichtig, möglichst viele Bewegungen für das Erlernen einer gewissen Grundgeschicklichkeit zu üben. Ihrer Meinung nach könnten Bewegungssensoren dabei Vorteile bieten, da Sensoren motivieren, Anreize zur Bewegung geben und eventuell bei der Verlaufsdokumentation helfen können.

Professor Mindy Levin aus Montreal, Kanada, zeigte in ihrem Vortrag die derzeitigen Möglichkeiten beim Einsatz von virtueller Realität auf das motorische Lernen bzw. zur Verbesserung motorischer Lernprozesse. Sie stellte einerseits sämtliche Vor- und Nachteile kommerzieller und nichtkommerzieller Videospiele vor. Andererseits machte sie deutlich, dass es noch an Studien zur Effektivität von virtuellen Technologien mangelt.

Sehr beachtenswert war das enorme Interesse der englischen Physiotherapeuten an diesem erstklassig organisierten Kongress. Ebenso zeigte sich ein recht hohes wissenschaftliches Niveau in den Vorträgen und den Diskussionen, das mit erfreulicher Selbstverständlichkeit verbreitet wurde.

Den Veranstaltern kann somit ein sehr großes Kompliment gemacht werden für diese sehr anregende Tagung. Wo bleibt das deutsche Pendant?

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Abb. 2 Mindy Levin (Abb.: Jan Mehrholz)