Z Gastroenterol 2016; 54(08): 1017
DOI: 10.1055/s-0042-112158
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Editorial – All you can eat

Albert Beyer
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Publication Date:
29 August 2016 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Jahr vor der Bundestagswahl bricht an, es ist die Zeit der politischen Positionierung, die Zeit der Positionspapiere bei gleichzeitigem politischem Stillstand. In zahlreichen Statements ist von einer notwendigen Steuerung der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen die Rede.

Brauchen wir diese Steuerung? Eigentlich ist unser GKV-System ja auf einem Solidaritätsprinzip begründet, welches impliziert, dass Gesunde den Alten und Kranken im Krankheitsfall finanziell beistehen und für diese Kosten aufkommen. Per definitionem bedarf es also grundsätzlich keiner weiteren Regelung.

Die tatsächliche gesellschaftliche Situation hat sich jedoch gewandelt. Das Solidaritätsprinzip wird egoistischen Auffassungen untergeordnet („ich zahle, also habe ich einen Anspruch darauf…“), ärztliche Untersuchungen werden - zum Teil auch bei fehlender Indikation - aktiv eingefordert. Dass dieses Verhalten unsolidarisch ist, kann inzwischen schon kaum mehr vermittelt werden; mit der Chipkarte habe man ja schließlich einen Anspruch darauf. Eine „all you can eat“-Mentalität.

Krankenkassen – die sich inzwischen nicht umsonst gerne als „Gesundheitskassen“ bezeichnen – fördern dieses Verhalten in einem pathologischen Wettbewerb und durch unbegrenzte Leistungsversprechen. Eine Zweit- oder gar Drittmeinung zu einem nicht komplexen Gesundheitsproblem muss schon zu finanzieren sein, um im Wettbewerb bestehen zu können. Die unüberlegte und populistische Abschaffung der Praxisgebühr hat zudem das politische Umfeld einer Steuerung durch Selbstbeteiligung nachhaltig zerstört.

Betrifft uns das als Gastroenterologen in Klinik oder Praxis? Eine amerikanische Untersuchung an einem kleineren Kollektiv konnte unlängst zeigen, dass bei 38 Prozent der durchgeführten Gastroskopien keine leitliniengerechte Indikation vorlag (JAMA Intern Med. 2015; 175: 1563–1564). Jeder mag für sich selbst einmal darüber nachdenken, wie viele Gastroskopien in der eigenen Praxis oder Abteilung ohne leitliniengerechte Indikation vom Patienten eingefordert werden.

Bei unbegrenzter Menge ist der von uns zu Recht beklagte Preis der Gastroskopie nicht wirklich adäquat verhandelbar. Echte Solidarität des Einzelnen wäre mir zwar lieber, notwendig sind jedoch Instrumente, die einen leitliniengerechten Zugang zu dieser Untersuchung steuern. Es ist unsere Aufgabe, diese Instrumente zu entwickeln. Die Politik kann uns dabei nicht, sie soll uns dabei auch nicht helfen.


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