Zeitschrift für Phytotherapie 2016; 37(04): 141-142
DOI: 10.1055/s-0042-112720
Editorial
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Darmbakterien - unterschätzte Helfer in der Phytotherapie
Matthias F. Melzig
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Publication Date:
14 September 2016 (online)

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Darmbakterien bzw. das Mikrobiom haben in den letzten Jahren eine starke Aufmerksamkeit auf sich gezogen - sogar auf die ersten Plätze in den Bestsellerlisten haben es Bücher zu diesem Thema geschafft, wie z. B. „Darm mit Charme“ von G. Enders. Die Bedeutung der Darmbak­terien und die Zusammensetzung der Darmflora für die Gesundheit des Menschen hat durch eine Vielzahl von Untersuchungsergebnissen eine erweiterte ­Betrachtungsweise erfahren. Stoffwechselerkrankungen, aber auch psychische Störungen scheinen mit dem Mikrobiom assoziiert zu sein und lassen neue The­rapieverfahren entstehen, wie z. B. die „Stuhl­transplantation“, oder rücken bestimmte Diäten in den Mittelpunkt von Behandlungsplänen, die sonst nur Arzneimittel enthielten.

Im Juni 2012 erschien im führenden amerikanischen Wissenschaftsmagazin „Science“ ein Artikel unter der Rubrik Neuigkeiten, der einen Zusammenhang zwischen Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) und der Modulation des Mikrobioms zur Behandlung der Adipositas herstellte und auf die Bedeutung pflanz­licher TCM-Drogen hinwies. Der Autor machte deutlich, dass bereits in der Antike Obesitas und Diabetes Probleme am chinesischen Kaiserhof gewesen seien und die Materia medica entsprechende Drogen zur Therapie beschrieb. Dazu zählten auch präbiotische Nahrungsmittel, wie z. B. Yamswurzel (Dioscorea L.), Bittergurke (Momordica charantia L.), Chinesischer Goldfaden (Coptis chinensis Franch.) oder Berberitze (Berberis vul­garis L.), die heute mit Erfolg zur Behandlung des metabolischen Syndroms in chinesischen Kliniken eingesetzt werden. Diese Drogen verändern die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm und erhöhen den Anteil an „guten Bakterien“, wie Bifidobacterium oder Bacteroides. In gleicher Weise wirkt auch Ganoderma lucidum (Curtis) P. Karst., der Glänzende Lackporling - ein in der TCM verwendetes Heilmittel bei Stoffwechselerkrankungen. Soweit zu neuen Erkenntnissen aus der alten Materia medica der TCM.

Für die Traditionelle Europäische Medizin (TEM) existieren zwar gegenwärtig keine solchen spektakulären Berichte, die es auf die Titelseiten von „Science“ oder „Nature“ geschafft hätten, aber der oben zitierte Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit bzw. Behandlung von Erkrankungen ist seit der griechischen Antike ebenfalls bekannt. Schaut man sich die Behandlungspläne der antiken Ärzte für ganz unterschiedliche Erkrankungen an, dann wird als erste Maßnahme zunächst auf eine entsprechende Diät verwiesen - die Anwendung von Arzneimitteln bzw. Arzneidrogen spielt erst im späteren Verlauf der Behandlung eine Rolle. Das ist natürlich nicht neu und auch wenig spektakulär, aber aktuelle Untersuchungsergebnisse zur Wirkung von Drogen und pflanzlichen Nahrungsmitteln im Zusammenhang mit dem Mikrobiom verweisen auf einen weiteren Aspekt zu Wirkungsmechanismen von pflanzlichen Naturstoffen in Phytotherapeutika:

Gerbstoffe vom Typ der Ellagitannine sind in vielen Rosaceae-Drogen enthalten, wie z. B. in Gänsefingerkraut, Blutwurz, Brombeer- oder Himbeerblättern, aber auch in Früchten, wie Himbeeren, Granatapfel, Erdbeeren und Brombeeren. Sie werden von menschlichen Darmbakterien zu Urolithinen umgewandelt. Diese zeigen entzündungshemmende Eigenschaften im Darm und nach Absorption über den Blutkreislauf auch in allen anderen Körpergeweben. Damit besitzen diese polyphenolischen Inhaltsstoffe neben der lokalen auch eine systemische entzündungshemmende Wirkung, die durch mikrobielle Metabolite vermittelt wird. Neuere wissenschaftliche Arbeiten verweisen gerade auf die breite Aktivität der Urolithine als wirksamkeitsmitbestimmende Metabolite von solchen Drogen wie Eichenrinde oder Walnüssen bezüglich der Prävention von Darmtumoren, Arteriosklerose oder auch dem metabolischen Syndrom. Und da schließt sich wieder der Kreis - TCM und TEM sind also gar nicht so weit auseinander, zumindest was die Verwendung von pflanzlichen Drogen zur Prävention und Therapie betrifft und die Bedeutung der nicht mehr zu unterschätzenden „bakteriellen Mitarbeiter“ im Darm. Untersuchungen zum Wechselspiel zwischen Phytotherapeutika und dem Mikrobiom sind ein vielversprechendes Forschungsgebiet, das uns noch viel Neues über die Wirkung von pflanzlichen Wirkstoffen erwarten lässt. Es bleibt spannend!