Diabetes aktuell 2016; 14(07): 309
DOI: 10.1055/s-0042-115093
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Woran erkennen wir, was wir essen?

Antje Bergmann
,
Peter E. H Schwarz
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Publication Date:
25 November 2016 (online)

Kennen Sie diese Situation? Ihr Kind geht mit Ihnen einkaufen, nimmt im Supermarkt ein Produkt in die Hand und fragt, ob dieses gesund sei? Uns passiert das regelmäßig. Einerseits ist es gut, wenn sich Kinder für gesunde Produkte interessieren, andererseits beginnt in dem Moment das Dilemma, welche Antwort man geben soll. Trotz Medizinstudium und Zusatzfortbildungen auf dem Gebiet scheitert man schnell. Zwar gibt es durchaus Lebensmittel, die übersichtlich und gut gekennzeichnet sind - die Entscheidung, welches aber „gesünder“ ist, ist nicht zu treffen.

Dabei haben wir in Deutschland und Europa seit vielen Jahren eine verpflichtende Nahrungsmittelkennzeichnung. Bis zu deren Einführung tobte eine heftige Diskussion, wie diese gestaltet sein sollte. Es gab eine Vielzahl an Prozessen, an Drohungen von Lobbyorganisationen, aber auch politische Profilierungen. Am Ende stand eine Kennzeichnung für Nahrungsmittel auf einer wissenschaftlichen Grundlage, die „vermutlich“ auch korrekt ist. Hilft diese Kennzeichnung denn aber in der oben beschriebenen Situation? Darauf aus unserer Sicht ein klares „Nein“.

Viele Untersuchungen zeigen, wie das Verhalten von Konsumenten beeinflusst werden kann, um gesundes Verhalten zu unterstützen. Australien beispielsweise ist mit dem „Plane Packaging“ einen großen Schritt nach vorn gegangen: Alle Zigarettenpackungen sind dort in Zukunft grün, und es wird die gleiche Schriftform verwendet, um die Marke darzustellen. Bilder, Logos und andere Differenzierungsmöglichkeiten unterschiedlicher Zigarettenmarken voneinander sind auf der Packung nicht mehr zu finden. Die Folge: Laut aktuellen Untersuchungen gibt es jetzt in Australien mehr als 60 % weniger Neueinsteiger zum Rauchen. Das ist toll und effektiver als unsere deutschen Antiraucherkampagnen. Offensichtlich reichen eindrucksvolle und eigentlich zur Abschreckung gedachte Bilder von Nekrosen und Gangrän, Hämoptysen und nikotingeschwärzten Lungen zur Abschreckung nicht aus.

Was würde das für Nahrungsmittel bedeuten? Eine Strategie wie die des „Plane Packaging“ für Lebensmittel zu nutzen, ist sehr viel schwieriger. Helfen könnte aber die immer wieder erwähnte und vielfach favorisierte Ampelfunktion. In der Vergangenheit haben viele Länder Initiativen zur Nahrungsmittelkennzeichnung über ein Ampelsystem gestartet. Grün bedeutet dabei: täglicher Verzehr empfohlen, gelb: einmal wöchentlich und rot: einmal im Monat. Fast alle diese Initiativen sind gescheitert. Warum?

Ähnlich wie bei der Fettsteuer in Dänemark wurden diese Aktivitäten häufig juristisch oder mit politischem Druck durch die Lobby der Nahrungsmittelindustrie gebremst. Genauso wie beim „Plane Packaging“ in Australien fürchtet die Industrie, dass das Verbraucherverhalten durch eine solche Strategie stark beeinflusst wird - vor allem stärker als es durch Werbung und Marketing selbst mit emotionalen Strategien möglich ist. Aber genau das wollen wir ja. Wir wollen das Verhalten der Konsumenten beeinflussen, um die gesündere Alternative zu unterstützen. Dabei soll „nicht gesundes“ Verhalten nicht unbedingt ausgeschlossen werden, weil auch das zur Selbstbestimmung gehört.

Die Strategie der Industrie Konsumenten zu beeinflussen, ist das Marketing. Die Taktik, die wir als Ärzte oder Gesundheitspolitiker dagegensetzen können, ist eine sinnvolle, die Verbraucher beeinflussende Nahrungsmittelkennzeichnung. Wenn man das, was an Literatur, wissenschaftlicher Evidenz und Erfahrung auf dem Gebiet weltweit zur Verfügung steht, zusammenträgt, ist die Nahrungsmittelampel die logische Konsequenz. Selbst wenn ein Käufer wenig über Gesundheit und Ernährung weiß, versteht er doch, dass ein Nahrungsmittel mit dem grünen Punkt gut ist, das mit dem gelben weniger, und dass Lebensmittel mit dem roten Punkt etwas Besonderes und Seltenes bleiben sollten. Derzeit versucht England, eine Initiative zur Nahrungsmittelkennzeichnung mit der Ampelfunktion umzusetzen. Es wäre toll, wenn dieser Versuch gelingt ̶ wir jedenfalls drücken die Daumen.

Wenn wir das nächste Mal mit unseren Kindern im Supermarkt sind und gefragt werden, ob ein bestimmtes Produkt gesund ist, wäre eine Nahrungsmittelampel vorstellbar und würde helfen, die richtige Antwort zu geben. Lassen Sie uns mit unseren Möglichkeiten darauf hinarbeiten, dieses Ziel auch in Deutschland in Zukunft zu erreichen.

Viel Spaß mit der neuen Ausgabe der Diabetes aktuell wünschen

Ihre Antje Bergmann und Peter Schwarz