Zusammenfassung
Für die Steuerung der Pharmakotherapie einer medikamentenresistenten Epilepsie ist
der Neurologe auf den Bericht des Patienten über dessen Anfallssituation notwendig
angewiesen. Patienten sind daher angehalten, einen Anfallskalender zu führen. Auch
aus klinischen Studien sind Anfallskalender kaum wegzudenken. Mehrere EEG-gestützte
Validierungsstudien aus den letzten zwei Jahrzehnten haben jedoch übereinstimmend
gezeigt, dass Epilepsiepatienten einen wesentlichen Teil (30–70%) ihrer Anfälle nicht
dokumentieren. Vor allem Anfälle aus dem Schlaf sowie komplex-partielle Anfälle werden
in erheblichem Umfang nicht berichtet. Viele Patienten erkennen selbst unmittelbar
nach einem Anfall nicht, dass sie gerade einen Anfall erlitten haben. Diese Beobachtung
legt nahe, dass eine infolge des Anfalls eingeschränkte Bewusstheit für das Anfallsgeschehen
die entscheidende Ursache für die fehlende Validität der Patientenaufzeichnungen darstellt.
In der klinischen Praxis sollte daher insbesondere eine vom Patienten berichtete Anfallsfreiheit
zunächst kritisch betrachtet werden. Eine berichtete Anfallshäufigkeit muss im Durchschnitt
um den Faktor 1,4–3,0 nach oben korrigiert werden. Für die klinische Forschungspraxis
sind die Folgen noch nicht absehbar. Die Validität der meistgenutzten Therapieergebnismaße
– Anfallsfreiheit, %-Reduktion der Anfallshäufigkeit im Verlauf der Studie sowie Responderrate
(%-Patienten mit≥50%-Reduktion ihrer Anfallshäufigkeit) – hängt jedenfalls von der
fragwürdigen Annahme ab, dass die Qualität der Anfallsdokumentation durch die Patienten
im Verlauf der Studie konstant bleibt und durch die Studienmedikation nicht beeinflusst
wird. Derzeit werden verschiedene physiologische Ansatzpunkte für eine praktikable
automatische Anfallsregistrierung evaluiert. Patienten zeigten sich bei einer Befragung
an einer solchen neuartigen Technologie durchaus interessiert, vorausgesetzt dass
das Verfahren wie moderne Fitnessarmbänder unauffällig angewendet werden kann.
Abstract
Patient seizure status reports are critical for the therapeutic management of drug-
resistant epilepsy. For this purpose, seizure diaries have been established for use
in clinical practice and also research. Several studies from the last two decades,
however, showed that patients fail to document a substantial percentage (30–70%) of
their seizures. In particular, nocturnal and complex-partial seizures are underreported.
Many patients do not become aware of a seizure even shortly thereafter. This observation
provides evidence for seizure unawareness as induced by the seizure itself as the
most important cause for the lack of validity of patient seizure records. In contrast,
noticed seizures are documented carefully. In clinical practice, especially patient-reported
seizure freedom must be evaluated critically. Reported seizure frequencies must be
corrected by a factor of 1.4–3.0 on average to achieve a more realistic estimate.
Implications for clinical research are not fully clear yet. In any case, the validity
of the most established therapy outcome measures, namely seizure freedom, % reduction
of seizure frequency during the study and seizure responder rate (i. e. percentage
of patients with ≥ 50% reduction of seizure frequency) depends on the critical assumption
that seizure documentation accuracy remains stable during the study and is unaffected
by the study medication. Currently several physiological approaches to feasible automated
seizure registration are under assessment. In a recent survey, patients showed their
general interest in such novel technologies if the device can be applied as inconspiculously
and easily as modern wristband fitness trackers.
Schlüsselwörter
Epilepsie - Anfallskalender - Anfallshäufigkeit - automatische Anfallsdetektion
Keywords
epilepsy - seizure calendar - seizure frequency - automated seizure registration