Z Geburtshilfe Neonatol 2017; 221(01): 45
DOI: 10.1055/s-0042-121852
Aus der Geschichte der Perinatalmedizin
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Plazentafunktion

„Die Plazenta ist die Lunge des Feten“
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Publication Date:
31 March 2017 (online)

Vor 140 Jahren berichtete Paul Zweifel ([Abb. 1]) im „Archiv für Gynäkologie“ über den spektroskopischen Nachweis der typischen Absorptionsbanden des Oxyhämoglobins im Nabelschnurblut Neugeborener schon vor Beginn der Lungenatmung.

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Abb. 1 Der bahnbrechende Beitrag von Paul Zweifel zur „Respiration des Fötus“ im Archiv für Gynaekologie 1876.

Den fetalen Blutkreislauf hatte William Harvey 1651 beschrieben und dann die Frage gestellt: „How does it happen that the fetus continues in its mother‘s womb after seven months? It lives in health and vigour more than two months longer without the aid of respiration at all.“

Erst Zweifel hat 255 Jahre später die Antwort gefunden und 1876 publiziert:„Die Plazenta ist die Lunge des Feten. Der Fetus besitzt einen eigenen oxydativen Stoffwechsel.“ ([Abb. 2]). Der Nachweis des Oxyhämoglobins im Nabelschnurblut war der Beweis eines Gasaustausches in der Plazenta. Zweifel schloss daraus: „Bei der vollständigen Abgeschlossenheit des Fötus von der atmosphärischen Luft, kann die einzige Quelle des Sauerstoffs nur das Blut der Mutter sein… Es muss derselbe von dem einen zum anderen Blut durch das Epithel der Chorionzotten passieren“. Damit war ein wesentlicher Beitrag zur Funktion der Plazenta geliefert worden.

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Abb. 2 Portrait von Paul Zweifel aus dem Jahr 1897.

In den Jahrzehnten davor gab es nur Spekulationen zur Sauerstoffversorgung des Feten. Man glaubte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dass die Plazenta eine temporäre Milz sei. Andere vermuteten ein Lymphsystem zwischen mütterlichen und kindlichen Gefäßen. Noch 1888 hatte Ahlfeld die Bewegungen des Feten für Atembewegungen gehalten und darüber auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie berichtet.

Zweifel hatte seine Beobachtungen und Experimente 1875 an der Universität in Straßburg unter Adolf Gusserow durchgeführt. 1876 erfolgte die Veröffentlichung. Da war Zweifel schon mit 28 Jahren als Ordinarius nach Erlangen berufen worden. In der Publikation berichtete Zweifel von den Tierversuchen, wo „das Nabelschnurblut stehts hellroter gefärbt war als das der Nabelschnurarterie“. Aber er konnte sich nicht erklären, dass „die Färbung der Nabelvene nicht so hellrot wie ein arterielles Gefäß der Mutter von gleichem Kaliber war“.

Eine Klärung dieser Frage konnte erst erfolgen, als die Physiologie der Plazentaatmung durch eine exakte Blutgasanalyse mit brauchbaren Methoden untersucht werden konnte. Van Slyke legte 1917 reproduzierbare Ergebnisse vor. Er hatte Elektroden entwickelt, mit denen die Verhältnisse im Nabelschnurblut exakt wiedergegeben werden konnten. Die physiologischen Entdeckungen der Plazentafunktion als „Atmungsorgan“ machten Zweifel nicht berühmt. Man nahm sie wohlwollend zur Kenntnis. Geschätzt und hoch gelobt wurde er als exzellenter Operateur; das hatte höheren praktischen Nutzen. Außerdem wurden seine statistischen Erfolgszahlen bewundert. In Sammelstatistiken aus Deutschland zu der Zeit musste man beim Kaiserschnitt eine Mortalität von 10% beklagen, während Zweifel eine Häufigkeit von nur 4% angab, was zu ganz neuen Überlegungen zur Indikationsstellung führte. Als Alternative zum Kaiserschnitt war beim engen Becken der Mutter die Perforation des Kindes notwendig, für die eine Mortalität von 6,6% angegeben wurde. Zweifel schrieb damals: „Dem Kaiserschnitt muss bei lebendem Kind im Grunde der Vorzug gegeben werden“.

Das war 10 Jahre nach seinem Beitrag zur Plazentafunktion. „Er hat mitgebaut an dem Fundament der operativen Gynäkologie, er wurde der erfolgreichste Operateur Deutschlands“, schrieb sein Nachfolger in Leipzig, Walter Stöckel. Zweifel wurde später auch als ein Begründer der perinatologischen Forschung gepriesen, als klar war, was sein Beitrag zur Sauerstoffversorgung des Feten bedeutete.

Prof. Dr. Volker Lehmann, Hamburg