Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2017; 22(05): 244-254
DOI: 10.1055/s-0043-100689
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ökonomische Anreize belegärztlicher im Vergleich zu alternativen Versorgungsformen aus den Perspektiven von Krankenhaus und Vertragsarzt/Belegarzt sowie aus gesundheitssystemischer Sicht

Economic Incentives from the Perspectives of Hospital and Attending Physician as Well as from Public Health View on Care by Attending Physicians and Alternative Care Structures
Ursula Hahn
1   OcuNet Gruppe, Düsseldorf
2   Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Universität Witten/Herdecke
,
Peter Mussinghoff
3   Augenärzte am St. Franziskus-Hospital, Münster
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
27. März 2017 (online)

Zusammenfassung

Zielsetzung Die ökonomischen Anreize werden als wichtige Einflussgröße für die rückläufige Entwicklung des Belegarztwesens diskutiert. Um diese These zu überprüfen, werden die Erlöse für belegärztliche Versorgung und alternative Versorgungsformen aus Sicht der Akteure Krankenhaus und Vertragsarzt/Belegarzt und aus gesundheitssystemischer Perspektive vergleichend nebeneinander gestellt und die potenziellen Effekte diskutiert.

Methodik Ein neu vorgestelltes Matchingverfahren nutzt den Operations- und Prozedurenschlüssel (OPS) als Intermediär, um Vergleichbarkeit zwischen den Vergütungssystemen Diagnosis-Related Groups (DRG) und Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM) herzustellen. Die 10 häufigsten matchbaren belegärztlichen DRG werden identifiziert und die Erlöse der Akteure für die alternativen Versorgungsformen bei gleichem OPS gegenübergestellt. Die Krankenhausleistungen werden bei stationärer Versorgung in der Hauptabteilung nach Hauptabteilungs-DRG und in der Belegabteilung nach Belegabteilungs-DRG, ambulante Operationen werden nach Kapitel 31 EBM vergütet. Das Honorar des Vertragsarztes/Belegarztes bemisst sich bei stationärer belegärztlicher Versorgung nach Kapitel 36 EBM und bei ambulanter Versorgung nach Kapitel 31 EBM. Die Gesamtkosten bei belegärztlicher Versorgung entsprechen der Summe aus Belegabteilungs-DRG und dem Honorar nach Kapitel 36 EBM.

Ergebnis Die Erlös-Mediane für die verschiedenen Versorgungsformen und Akteure zeigten folgende Trends: Für das Krankenhaus war die Hauptabteilungs-DRG deutlich attraktiver (im Median € 2320) als Belegabteilungs-DRGs (im Median € 1567). Die Mindereinnahme des Krankenhauses bei ambulanter Versorgung im Vergleich zu der in der Hauptabteilung betrug im Median 81 %. Für den Vertragsarzt/Belegarzt ging eine ambulante Durchführung (im Median € 447) mit einem deutlich höheren Honorar (inkl. Sachkosten) einher als eine belegärztliche (im Median € 270). Unter einem systemischen Kostenblickwinkel ist die ambulante Versorgung am attraktivsten; im Vergleich der alternativen stationären Formen schneidet die belegärztliche Versorgung deutlich günstiger ab als die in einer Hauptabteilung, sie ist rund 23 % günstiger.

Schlussfolgerung Unter Erlösgesichtspunkten sind für beide Akteure Krankenhaus und Vertragsarzt/Belegarzt jeweils andere als die belegärztliche Versorgung attraktiver, die These rückläufiger belegärztlicher Versorgungsrelevanz aufgrund ökonomischer Anreize erweist sich als plausibel. Unter gesundheitsökonomischer Kostenperspektive ist hingegen der belegärztlichen Versorgung im Vergleich zu der in der Hauptabteilung der Vorzug zu geben. Anreize für eine Verlagerung von stationär nach ambulant gehen im Wesentlichen von den für Vertragsärzte/Belegärzte maßgeblichen Vergütungseckdaten aus.

Abstract

Aim Economic incentives are discussed to have relevant influence on the downward trend of care by attending physicians. To verify this assumption revenues related to inpatient service by attending physicians and alternative ways of care are gathered from the perspective of the two relevant health service providers hospital and social health insurance authorized physicians (SHI-physicians)/attending physicians on the one hand and public health on the other hand. Potential effects are being discussed.

Method A newly introduced matching method used the operation and procedure key (OPS) as an intermediary variable between the different reimbursement schemes Diagnosis-Related Groups (DRG) and Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM). The 10 most frequent matching-able DRG performed by attending physicians were identified, the revenues for the care provider and alternative ways of care related to the matching variable OPS were gathered. Clinical inpatient services in main departments were refunded by Hauptabteilungs-DRG, in inpatient wards run by attending physicians by Belegabteilungs-DRG. Clinical outpatient treatment was reimbursed according to chapter 31 EBM. SHI-Physicians’/attending physicians’ fee for outpatient treatment is determined according to chapter 31 EBM, for inpatient treatment according to chapter 36 EBM. The total costs of inpatient care run by attending physicians is the sum of Belegabteilungs-DRG and fees according chapter 36 EBM.

Results The median revenues related to alternative ways of care and providers documented the following trends: From the perspective of hospitals the Hauptabteilungs-DRG was considerably more attractive (in the median 2320 €) than the Belegabteilungs-DRG (in the median 1567 €). The shortfall in revenues for outpatient care compared to care in a main department adds up to 81 % in median. From the perspective SHI-physician/attending physician outpatient care resulted in higher fees (in the median 447 € including material costs) than an inpatient attending care (in the median 270 €). From a public health view outpatient care is most attractive. Comparing of the two inpatient alternatives shows that care by attending physicians is about 23 % less costly than care in main departments.

Conclusion For both health service providers the revenues of alternative ways of care are more attractive than inpatient service by attending physicians. Therefore the assumption of a downward trend in inpatient care by attending physicians triggered by financial incentives seems plausible. However, the costs for public health of inpatient care run by attending physicians are lower than the costs in main departments. Incentives for outpatient treatment replacing inpatient care are only linked to the reimbursement scheme of SHI-physicians/attending physicians.

 
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