Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2017; 52(11/12): 758-763
DOI: 10.1055/s-0043-105841
Topthema
Fortbildung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frailty: Prävalenz bei 70- bis 79-Jährigen in Deutschland (populationsbasierter Ansatz)

Frailty: Prevalence in the Resident Population of Germany 70 – 79 Years of Age – a Population-Based Approach
Judith Fuchs
,
Markus Busch
,
Christa Scheidt-Nave
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
20. November 2017 (online)

Zusammenfassung

In allen Ländern steigt die Lebenserwartung und viele ältere Menschen verbringen mehr Zeit bei guter Gesundheit. Allerdings leiden Ältere auch unter Gebrechlichkeit (engl. frailty), die als Risikofaktor für Erkrankungen, Behinderungen oder Stürze gilt. Im Rahmen der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS) 2008 – 2011 wurden Interviews, Untersuchungen und Tests durchgeführt. Für die Auswertungen wurden Daten von 1110 zu Hause lebenden DEGS1-Teilnehmenden im Alter von 70 bis 79 Jahren analysiert. Körperliche Gebrechlichkeit wurde definiert als das Vorliegen von drei oder mehr der folgenden Kriterien: selbst berichtete Erschöpfung, reduzierte Greifkraft, verlangsamte Gehgeschwindigkeit, geringe körperliche Aktivität und ein niedriger Body-Mass-Index; beim Vorliegen ein oder zwei der Kriterien wird von einer Vorstufe der Gebrechlichkeit (pre-frailty) ausgegangen. Bei Männern wurden 36,6% (Konfidenzintervall KI 32,2 – 41,2) als pre-frail, 2,5% (KI 1,4 – 4,4) als gebrechlich eingestuft; bei Frauen wurden 41,8% (KI 37,3 – 46,5) als pre-frail und 2,9% (KI 1,9 – 4,5) als gebrechlich eingestuft. Gebrechliche Personen geben signifikant häufiger Polypharmazie und Mehrfach-Stürze an, beziehen Leistungen aus der Pflegeversicherung, haben eine amtlich anerkannte Schwerbehinderung und geringere soziale Unterstützung. Diese bevölkerungsrepräsentativen Ergebnisse tragen zur Identifikation von gebrechlichen Menschen mit einem erhöhten Risiko für gesundheitliche Folgen bei. Entsprechende Prognosemodelle sollten in der operativen Anästhesiologie für die verschiedenen Versorgungsbereiche weiterentwickelt werden.

Heute verbringen viele ältere Menschen mehr Lebensjahre in guter Gesundheit als früher. Allerdings wird es mit zunehmendem Alter auch wahrscheinlicher zu erkranken und gesundheitsbedingte Einschränkungen im Alltag zu erfahren. Das Konzept der Gebrechlichkeit („frailty“) hat in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung für die Prognose von Mortalität, wiederholter Hospitalisierung und Verlust einer unabhängigen Lebensführung [1].

Abstract

In all countries life expectancy is rising, and many older persons spend a longer period in good health. Nevertheless, frailty is present in older people and can be considered as a risk factor for limitations. The “German Health Interview and Examination Survey for Adults” (DEGS1) 2008 – 2011 comprised interviews, examinations and tests. Data on 1110 community-dwelling people aged 70 to 79 years participating in DEGS1 with full records on frailty were analysed. Physical frailty was defined as exhaustion (SF-36 item), low grip strength, slowness (Timed Up-and-Go test > 15 seconds or unable to perform) and low physical activity (no sports or exertion). In men 36,6% (CI 32,2 – 41,2) were classified as pre-frail, 2,5% (CI 1,4 – 4,4) as frail; in women 41,8% (CI 37,3 – 46,5) were classified as pre-frail, and 2,9% (CI 1,9 – 4,5) as frail. Frail persons significantly show more polypharmacy, recurrent falls, receive more frequently nursing care financial benefits, are officially recognized disabled and have poor social support. This population-based information may help to identify frail people with high risk of adverse health outcomes. Prediction models in operative anaesthesiology for specific health care settings should be developed.

Kernaussagen
  • In der Bevölkerung zwischen 70 und 79 Jahren sind insgesamt 3,8% der Frauen und 2,6% der Männer gebrechlich, weitere 40,1% bzw. 39,6% erfüllen Kriterien einer Vorstufe von Gebrechlichkeit.

  • Besonders häufige Gebrechlichkeitskriterien sind eine geringe körperliche Aktivität sowie eine reduzierte Greifkraft.

  • Gebrechliche Personen nehmen mehr Medikamente ein und stürzen häufiger, beziehen öfter Leistungen aus der Pflegeversicherung und haben häufiger amtlich anerkannte Behinderungen im Vergleich zu nichtgebrechlichen Befragten.

  • Gebrechliche Personen weisen häufiger einen schlechte subjektive Gesundheit, kognitive Beeinträchtigungen und eine depressive Symptomatik auf und verfügen seltener über soziale Unterstützung.

  • Die Erhebung einiger weniger Informationen zur Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands, zur Inanspruchnahme von Leistungen und sozialen Unterstützung kann Hinweise auf das Vorliegen einer Gebrechlichkeit liefern. Hieraus ergeben sich Ansatzpunkte für Interventionsmaßnahmen in Kooperation zwischen ambulanter und stationärer Versorgung.

  • Unterschiede nach Bildung, Haushaltsgröße und Multimorbidität zeigen sich nicht.

 
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