Z Gastroenterol 2017; 55(06): 604-605
DOI: 10.1055/s-0043-111484
Der bng informiert
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Positive Antwort auf eine drängende Frage

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Publication Date:
07 June 2017 (online)

Männer haben im Alter von 50 bis 55 Jahren bereits doppelt so viele fortgeschrittene Adenome wie Frauen der gleichen Altersgruppe. Das ist das Ergebniss einer aktuell von Prof. Hermann Brenner am DKFZ ausgewerteten Studie (Brenner et al. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 94 – 100).

Die Daten stammen von den eingeschriebenen Versicherten im HZV/FAV der AOK und Bosch-BKK in Baden-Württemberg. Gemeinsam mit den beiden Kassen und dem MEDI-Verbund haben wir (bng, Baden-Württemberg) vor drei Jahren ein Modellprojekt auf den Weg gebracht, in dem das Einstiegsalter zur Vorsorgekoloskopie für Männer und Frauen auf 50 Jahre herabgesetzt wurde. Das Vorhaben ist von Anfang an durch die Arbeitsgruppe von Prof. Brenner begleitet worden. Vorausgegangen waren, persönliche Anschreiben an die Versicherten, wie bereits in den gemeinsamen Darmcheck-Aktionen von AOK, MEDI und den beteiligten Berufsverbänden. Zusätzlich wurde randomisiert in der Hälfte der Fälle ein individueller KRK-Risikocheck beigelegt.

In Deutschland stehen wir bereits seit 2013 an der Schwelle zu einem bundesweiten Einladungsverfahren zur Darmkrebsvorsorge. Dessen Details sind trotz anderer Festlegung durch den Deutschen Bundestag allerdings noch nicht endgültig ausgearbeitet. Vor diesem Hintergrund bieten die besprochenen Ergebnisse möglicherweise einen interessanten Anknüpfungspunkt für weitere Projekte um die Wirkung von Informations- oder Einladungsstrategien zu erproben.

Zu Beginn der Studie sind zwischen April 2014 und 2015 insgesamt rund 85 000 Anschreiben an die 50 bis 55 jährigen Versicherten des Selektivvertrags versandt worden. Ausgewertet wurden Untersuchungen, die innerhalb eines Jahres nach Eingang des Schreibens durchgeführt worden sind. Das Angebot einer Vorsorgekoloskopie ab 50 haben im besagten Zeitraum zwei Prozent der Männer und 1,7 Prozent der Frauen wahrgenommen. Die insgesamt knapp 1400 durchgeführten Vorsorgekoloskopien zeigten eine Prävalenz fortgeschrittener Adenome oder Karzinome von 8,6 Prozent für Männer, bei den Frauen lag sie dagegen mit 4,5 Prozent nur etwa halb so hoch.

Die hier präsentierten Ergebnisse sprechen nach meiner Auffassung für die Etablierung geschlechtsspezifischer Unterschiede in der gesetzlichen Darmkrebs-Vorsorge, d. h. für unterschiedliche Einstiegszeitpunkte bei Männern und Frauen. Unabhängig hiervon ergibt sich für uns Männer aus den Resultaten zumindest die Verpflichtung mit aller Kraft darauf hinzuwirken, dass der Rückstand gegenüber den Frauen bei der Inanspruchnahme endlich abgebaut wird.

Das flächendeckende Angebot einer Vorsorgekoloskopie ab dem Alter von 50 Jahren wäre eine bedeutende Verbesserung für die Darmkrebsvorsorge in Deutschland Andererseits wirft eine derartige Änderung grundsätzlich die Frage auf, ob zwei unauffällige Screening-Koloskopien im Leben ausreichen, oder ob für eine wirksame Krebsprävention dann insgesamt mehr Untersuchungen vorgesehen werden sollten.

Zu unserem Erstaunen hat das Einladungsverfahren von AOK und BKK Bosch nicht zu einer Steigerung der Inanspruchnahme über das bekannte Niveau von etwa zwei Prozent geführt. Diese Beobachtung steht im Widerspruch zu Studien die belegen konnten, dass durch persönliche Informationsschreiben eine deutliche Erhöhung der Teilnahmerate an Vorsorgeuntersuchungen erzielt wird (Hoffmeister et Alkohol. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 87 – 93) und gibt damit noch Rätsel auf.

Um die vielen noch unbeantworteten Fragen im Zusammenhang mit der praktischen Ausgestaltung der Darmkrebsprävention eindeutiger zu beantworten, sind sicherlich noch erhebliche Anstrengungen nötig. Das beschriebene Projekt illustriert was gemeinsam mit aufgeschlossenen, zukunftsorientierten Partnern und durch abgestimmtes Zusammenwirken von Haus- und Fachärzten erreichet werden kann. Das sollte im Sinne der Darmkrebsprävention durchaus zur Nachahmung animieren.

Prof. Dr. Leopold Ludwig (Sprecher der Regionalgruppe Baden-Württemberg im bng)