Zusammenfassung
Einführung Eine Vielzahl von Erkrankungen können das Bild einer Multiplen Sklerose (MS) imitieren.
Bei der Erstdiagnose der MS wird der Ausschluss von Differenzialdiagnosen gefordert.
Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie empfehlen die Analyse von
13 obligaten und 9 fakultativen Laborparametern. Zu den obligaten Empfehlungen gehören
die Bestimmung der antinukleären Antikörper (ANA) und der Antikörper gegen Doppelstrang-DNS
(ds-DNA-AK).
Methodik In der Kohorte einer MS-Ambulanz wurden diejenigen Datensätze ausgewertet, bei denen
zumindest teilweise die empfohlenen Laborparameter analysiert wurden. Daneben wurden
MRT-Daten, Familienanamnese, klinische Präsentation, evozierte Potenziale und Liquorbefunde
erfasst. Prospektiv wurde ein Fragebogen zu differenzialdiagnostisch relevanten rheumatologischen
Symptomen eingesetzt.
Ergebnisse Von 554 Patienten, die sich mit Verdacht auf MS in einer MS-Ambulanz vorstellten,
waren bei 197 Patienten zumindest teilweise die differenzialdiagnostisch geforderten
Laborparameter analysiert worden. Bei 124 Patienten konnte eine MS bestätigt werden.
Bei 117 Patienten (59 %) des Gesamtkollektivs mit 197 Patienten waren die ANA mit
mindestens einem Titer von 1:80 auffällig. Von den 124 MS-Patienten hatten 68 (55 %)
einen positiven ANA-Titer von mindestens 1:80. Weder ANA noch ANCA oder ds-DNA-AK
konnten zwischen MS und Nicht-MS unterscheiden. MS-Patienten mit einem positiven ANA-Titer
von 1:80 litten häufiger an Autoimmunerkrankungen und hatten eine positive Familienanamnese
für MS. Von den 73 Patienten ohne MS waren 49 (67 %) ANA-positiv. In dieser Patientengruppe
waren die ANA-positiven Patienten häufiger psychiatrisch erkrankt. Bei den befragten
Patienten mit einem ANA-Titer > 1:160 war innerhalb von durchschnittlich 1,9 Jahren
keine rheumatologische Erkrankung diagnostiziert worden.
Zusammenfassung In Anlehnung an die amerikanischen „choosing wisely“-Empfehlungen für rheumatologische
Erkrankungen erscheint ein obligates breites Laborscreening bei der Erstdiagnose der
Multiplen Sklerose ohne konkrete differenzialdiagnostische Verdachtsdiagnose nicht
sinnvoll.
Abstract
Introduction A variety of diseases can mimic the presentation of multiple sclerosis (MS). Diagnosing
MS requires the exclusion of differential diagnoses. The guidelines of the German
Society of Neurology (DGN) recommend analyzing 13 obligatory and nine facultative
laboratory parameters. The obligatory recommendations include antinuclear antibodies
(ANA) as well as the antibodies against double-stranded DNA (ds-DNA-Ab).
Methods In a cohort of MS outpatients, records were analyzed, in which the laboratory parameters
were taken into consideration at least partially. In addition to the laboratory parameters,
MRI data, family history, clinical presentation, evoked potentials, and CSF findings
were analyzed.
Results: Of 554 patients, the differential diagnostic laboratory parameters were available
in 197 patients at least partially. In 59.4 % of these 197 patients, the ANA were
elevated to at least a titer of 1:80. Neither ANA nor ANCA nor ds-DNA-Ab was able
to distinguish between MS and non-MS; 54.8 % of 124 MS patients had a positive ANA
titer of at least 1:80. MS patients with this titer suffered more frequently from
autoimmune diseases and had a family history of MS. Of the remaining 73 patients without
MS, 67.1 % were ANA positive. In this patient population, the ANA-positive patients
were more frequently diagnosed with psychiatric diseases.
Conclusion According to the American “choosing wisely” recommendations for rheumatologic diseases,
obligatory laboratory screening appears to be inappropriate in the initial diagnosis
of multiple sclerosis without a specific differential diagnostic reason.
Schlüsselwörter Multiple Sklerose - Differenzialdiagnose - ANA
Keywords multiple sclerosis - differential diagnosis - ANA