Diabetes aktuell 2017; 15(08): 323
DOI: 10.1055/s-0043-123667
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diabetes digital

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
1   Dresden
› Author Affiliations
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Publication Date:
18 December 2017 (online)

Einige von Ihnen werden bei diesem Thema aufstöhnen und denken, auch das noch. Manche von Ihnen werden sagen: „Meine Patienten nutzen so etwas nicht.“ Andere wiederum sehen in digitalen Anwendungen eine Chance auf eine Rückbesinnung auf die wirkliche Diabetologie. Was ist nun richtig? Ich persönlich tendiere zum Letzteren. Wir waren nie so nah an unseren Patienten, wie über sein Smartphone in der Hosentasche (bei Frauen in der Handtasche). Wir hatten nie eine so große Chance, unser Know-how im Alltag des Patienten anzuwenden, wie mithilfe digitaler Medien. Wir hatten nie die Möglichkeit, so viele Daten für unsere Patienten auszuwerten, wie es heute eine Analyse von Big Data erlaubt.

Warum aber wehren wir uns so sehr gegen eHealth, mHealth, sHealth („Electronic Health“, „Mobile Health“, „Smart Health“)? Wir machen es nicht richtig! Stellen Sie sich vor, ein kleines Männchen in Ihrer Hosentasche begleitet Sie im Alltag. Wollen Sie, dass dieses Männchen Ihnen immer wieder sagt, was Sie nicht richtig machen? Wollen Sie, dass es Sie immer wieder darauf aufmerksam macht, dass irgendetwas nicht stimmt oder Sie auf etwas hinweist, von dem Ihr Arzt gesagt hat, dass Sie das unbedingt in Ordnung bringen sollen? Wollen Sie regelmäßig hören, was Sie nicht erreicht haben?

Würden Sie sich nicht mehr freuen, wenn Sie immer wieder Hinweise bekämen, was Sie geschafft haben? Wenn das kleine Männchen Ihnen helfen würde, Ihre Stärken zu nutzen, um vielleicht ein Ziel auf anderem Weg zu erreichen – ein Weg, der Ihnen bisher verborgen geblieben ist? Wollen Sie, dass Sie zusammen mit dem kleinen Männchen ein unschlagbares Erfolgsteam werden und auf einmal in der Lage sein, Dinge anzugehen, an die Sie bisher gar nicht gedacht haben?

Ein digitales Blutzuckertagebuch als App ist derzeit in unseren Augen ein innovatives Tool. Wir glauben auch, dass die Apps, die wir designt haben, aus ärztlichen und medizinischen Bedürfnissen heraus genau das sind, was unsere Patienten haben wollen – und unterliegen damit einem großen Trugschluss. Der Patient war nie so mündig wie heute in der Entscheidung, wie ein digitales Produkt oder eine App zu nutzen ist. Überlegen Sie sich selbst, wie schnell Sie eine App installieren oder deinstallieren. Genau das machen unsere Patienten auch, und sie gehen sehr kritisch damit um. Wir müssen lernen zu verstehen, was unsere Patienten wollen.

Diese Aussage mag paradox klingen, weil wir sicher glauben, dass wir genau wüssten, was unsere Patienten brauchen. Andererseits sehen wir aber, dass unsere Patienten die bereitgestellten Apps zum Teil sehr egoistisch und individuell einsetzen. Viele von Ihnen haben erlebt, dass ein Patient in die Praxis kommt und fragt, welche dieser 3 verschiedenen Apps, in denen er die Blutzuckerwerte speichern könne, die beste sei? Mit der Antwort sind wir häufig überfordert.

Andererseits ist es doch aber wünschenswert, dass immer mehr Patienten anfangen, sich selbst mit ihrer Krankheit zu beschäftigen. Genau solche Patienten brauchen wir! Wenn wir es schaffen, die Apps zu dem kleinen Männchen in der Hosentasche werden zu lassen, das unseren Patienten hilft, aktiver, verantwortlicher und individueller mit ihrem Diabetes umzugehen, haben wir eine nie dagewesene Chance, Empowerment und Selbstmanagement für sehr viele unserer Patienten Wirklichkeit werden zu lassen.

Ich persönlich glaube, dass gut an den Bedürfnissen der Patienten orientierte Apps uns Ärzten sehr viel Last abnehmen können. Die Entwicklung der Digitalisierung öffnet uns hoffentlich wieder Türen, um uns auf unsere Patienten konzentrieren zu können, die darüber hinaus von elektronischen Begleitern gecoacht werden. Für einen Großteil unserer Patienten wird dies eine bessere Stoffwechsellage ermöglichen – davon bin ich überzeugt!