Psychiatr Prax 2018; 45(03): 126-132
DOI: 10.1055/s-0044-100193
Psychiatriegeschichte
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Umgang mit Angehörigen der Opfer der Aktion „T4“ durch die NS-Behörden und die Anstalten in Württemberg

Dealing with Relatives of the Victims of the „Aktion T4“ by the National Socialist Institutions as well as by Wuerttemberg Asylums
Paul-Otto Schmidt-Michel
Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg, Ravensburg
,
Thomas Müller
Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg, Ravensburg
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Publication Date:
23 January 2018 (online)

Zusammenfassung

Die Rolle der Angehörigen im Rahmen der „Euthanasie“-Aktion „T4“ ist in den letzten Jahren kontrovers diskutiert worden. Anhand von Dokumenten der NS-Bürokratie, Stellungnahmen der Anstaltspsychiater aus dem Jahr 1945 an die französische Besatzungsmacht und Briefen von Angehörigen an die Heilanstalt Weissenau/Württemberg werden diese Quellen unter dem Aspekt der Reaktionen der Angehörigen auf die Aktion „T4“ ausgewertet. Die Ergebnisse bezeugen ein breites Spektrum der Reaktionen der Angehörigen, die überwiegend durch Angst, Ohnmacht und Protest gekennzeichnet sind.

Abstract

The role of the relatives in the context of the „euthanasia“ “Aktion T4” (“T4” campaign) has been controversially discussed in recent years. Based on documents of the National Socialist bureaucracy, statements of asylum psychiatrists in the year 1945 to the French occupation force as well as letters from relatives to Weissenau asylum in Wuerttemberg, these sources are analysed here in the light of the reactions of family members in respect to “Aktion T4”. The results testify to a broad spectrum of responses of relatives, which are mainly characterised by fear, helplessness and protest.

 
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