Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2018; 25(01): 6-8
DOI: 10.1055/s-0044-100901
Kasuistik
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Offene Unterschenkelfraktur durch Lawine mit glücklichem Ausgang

Open lower leg fracture caused by Avalanche with a happy ending
Andrea Pippi
1   Anästhesiologie und Intensivmedizin, Klink Stephanshorn, St. Gallen, Schweiz
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Publication Date:
19 February 2018 (online)

Anamnese

Eine 15-köpfige Gruppe mit Teilnehmern aus der Schweiz und aus Deutschland war bereits seit 4 Tagen in den Hütten der Bergstation des kleinen Skigebiets im Suusamir Tal am Too Ashu Pass, auf 3000 m Höhe, circa 160 km südwestlich von Bishkek, Kirgisistan, mehr oder weniger wetterbedingt „gefangen“. Die Bergstation fungierte als Hubschrauberbasis mit einem stationierten Großraumhubschrauber vom russischen Typ Mil Mi-8.

Die Gruppe, Skifahrer und Snowboarder, hatte eine gute Woche Heliskiing bei einem deutschen Reiseanbieter gebucht. Dieser und 2 russische Ski- und Bergführer begleiteten die Gruppe. Die Wartezeit war bedingt durch eine Schlechtwetterperiode mit reichlich Neuschnee sowie ungünstigen Sicht- und Windverhältnissen. Die Freude war daher bei den Teilnehmern groß als nach 3 Tagen die Wolkendecke aufriss und Sonne die Sichtverhältnisse drastisch verbesserte. Der Neuschnee alleine wäre ideal für alle Tiefschneeliebhaber gewesen, allerdings war der Lawinenlagebericht bedrohlich: ein schlechter Schneedeckenaufbau (mehrere Schwachschichten im Schneedeckenprofil, ein dazu passender Schneedeckenstabilitätstest, Extended Column Tests – ECT). Trotzdem entschied sich die Gruppe, eine Tour durchzuführen.

Zufällig befand sich am gleichen Tag unsere Skitourengruppe aus Deutschland auch dort. Unsere Gruppe bestand aus insgesamt 12 Teilnehmern und 3 Berg- und Skiführern. Eine Teilnehmerin sowie 5 weitere Teilnehmer waren ärztliche Kollegen mit der Zusatzqualifikation „Doctor in Expedition- & Wilderness Medicine“. Außerdem hatten 2 der Kollegen die Zusatzqualifikation Notfallmedizin.

Um 17:00 Uhr erreichte uns die Information, dass sich der Hubschrauber mit der Heliskigruppe und einer verletzten Person an Bord der Maschine auf dem Rückflug befände. Weitere Details waren zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt.

Um 17:15 Uhr landete der Hubschrauber. Das Ärzteteam begab sich zum Landeplatz, um Genaueres in Erfahrung bringen zu können. Die Passagiere unterrichteten uns, dass es sich bei dem Verletzten um einen der beiden russischen Guides handele, welcher über sehr starke Schmerzen im rechten Unterschenkel klage.

Wir fanden einen ansprechbaren, kardiopulmonal-stabilen Patienten vor (GCS 13). Der periphere Puls an der Arteria radialis war gut tastbar. Die Extremitäten waren kalt. Der Patient war kaltschweißig und blass. Die Rekapillarisierungszeit lag unter 3 Sekunden. Im orientierenden Bodycheck ergab sich bis auf einen schmerzhaften linken Thorax mit V. a. Rippenprellung oder Rippenfraktur kein Hinweis auf weitere Verletzungen. Über Luftnot klagte der Patient nicht. Der betroffene rechte Unterschenkel war provisorisch mit einem Samsplint und einem Schaufelstiel sowie mehreren unsterilen Binden geschient worden. Die Skistiefel des Patienten waren nicht entfernt.

Der deutsche Organisator der Reisegruppe schilderte uns den Unfallhergang: Um circa 15:30 Uhr sei der Verunfallte als erster in einen Hang eingefahren, in dem sich ein Schneebrett löste. Er wurde von den Schneemassen mitgerissen und prallte gegen einen größeren Felsen im Verlauf der Lawinenbahn. Der Verunfallte wurde nicht verschüttet. Nach dem Stillstand der Lawine klagte der Verunfallte über starke Schmerzen im Unterschenkel. Die Gruppe barg den Patienten und der Abtransport erfolgte mit dem Hubschrauber zur Bergstation ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Bergung nach Lawinenabgang.
Quelle: Dr. Andrea Pippi, St. Gallen