Zusammenfassung
Hintergrund 90 % der für das Führen eines Pkws benötigten Information erhält der Autofahrer über
das visuelle System. Im Straßenverkehr muss der Fahrzeugführer in unterschiedlichen
Geschwindigkeitsbereichen Größen- und Abstandsverhältnisse sowie generell räumliche
Lagebeziehungen beurteilen. Spielt hier das querdisparate Stereosehen eine wesentliche
Rolle?
Methode Jedem von 10 schielenden Personen mit fehlendem Stereosehen wurde eine augengesunde
Normalperson gleichen Geschlechts mit guter Stereopsis zugeordnet. Diese Paare unterschieden
sich nicht wesentlich hinsichtlich ihres Alters, der jährlichen Fahrleistung, der
benutzten Fahrzeugklasse und der Dauer des Führerscheinbesitzes. Alle Versuchspersonen
mussten sich einer ophthalmologischen Untersuchung unterziehen, bei der ein besonderes
Augenmerk auf der strabologischen Befunderhebung, einschließlich Stereo-Fern- und
Nahtests lag. Anschließend waren auf einem Verkehrsübungplatz folgende Fahraufgaben
zu absolvieren: 1. Halten vor einem Hindernis in kürzest-möglicher Distanz, 2. Rückwärts
in eine Parkbucht einschwenken, 3. Durchfahren einer Slalomgasse mit einer Geschwindigkeit
von 40 km/h, 4. Positionsschätzung zweier entfernter Pkws relativ zueinander aus einem
mit 40 km/h fahrenden Auto heraus bei einer zeitlich beschränkten Sicht auf diese
Pkws. Alle Aufgaben wurden sowohl binokular als auch monokular (Abdeckung des geführten
Auges) durchgeführt. Um einen möglichen Trainingseffekt zu minimieren, wurde die Reihenfolge
der Versuche randomisiert.
Ergebnisse Ein Vergleich der Fahrleistung von Normalsichtigen und Schielenden liefert nur für
den „Slalom-Parcours” ein signifikant besseres (p < 0,01; ANOVA) Abschneiden der Normalen
gegenüber den Schielenden. Im Rahmen der Positionsschätzung schnitten die schielenden
Personen sogar signifikant besser ab (p < 0,01; ANOVA). Vergleiche der monokularen
und binokularen Fahrweise innerhalb der beiden Gruppen zeigen, dass Normalsichtige
beim Halten vor einem Hindernis signifikant schlechtere Ergebnisse (p < 0,05; ANOVA)
in monokularer als in binokularer Fahrweise erzielen. Innerhalb der Gruppe der Schielenden
war ein solcher Unterschied nicht zu beobachten.
Schlussfolgerung Intaktes querdisparates Stereosehen verbessert die Fahrleistung nur bei dynamischen
Aufgaben im mittleren Entfernungsbereich.
Background The motorist obtains about 90 % of the information required to drive a vehicle from
the sense of vision. In road traffic, various situations with respect to size, distance,
and position have to be evaluated at different speeds. Does depth perception based
on disparity play an essential role in these situations?
Methods Each of ten subjects with defective stereopsis due to strabismus was compared with
an age matched healthy control, who was also matched in yearly mileage, type of vehicle
and duration of driving experience. After ophthalmological examination including stereotests
for both distance and near, all subjects performed the following driving tests: (1)
Stopping as close as possible in front of an obstacle, (2) reversing into a parking
position, (3) driving a slalom parcours at the speed of 40 km/h, (4) estimating the
relative position of two cars within a limited time while approaching them with 40
km/h. All tests were performed both under monocular (the non-leading eye covered)
and binocular conditions. The sequence of the tests was randomized in order to minimize
training effects.
Results Comparing the driving performance of both groups, the controls performed significantly
better (p < 0.01; ANOVA) only in the “slalom task”. In “estimation of position” the
controls performed significantly worse (p < 0.01; ANOVA) compared to their counterparts
with defective stereopsis. A significant difference between the monocular and binocular
performance was found only in the “stopping task”, exclusively for the group of normals,
benefitting from the binocular performance (p < 0.05; ANOVA).
Conclusion Stereopsis improves the driving performance only in dynamic situations at intermediate
distances.
Schlüsselwörter
Querdisparates Stereosehen - Stereopsis - Schielamblyopie - Verkehrsophthalmologie
- Fahreignung
Key words
Stereoscopic disparity - stereopsis - amblyopia - squint - traffic ophthalmology -
motorist - driving performance