Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2000; 35(10): 652-657
DOI: 10.1055/s-2000-7368-5
MINI-SYMPOSIUM
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Präoperative Eigenblutspende: klinisch-epidemiologisch betrachtet

R.  Karger, V.  Kretschmer
  • Klinikum der Philipps-Universität Marburg, Abt. für Transfusionsmedizin und Gerinnungsphysiologie, Marburg
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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Einleitung

Vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Ressourcen im Gesundheitswesen müssen sich medizinische Maßnahmen zunehmend der vergleichenden Bewertung ihres Beitrages für die Gesundheit einer Gesellschaft und der mit ihnen jeweils einhergehenden Kosten unterwerfen. Sie müssen in Einklang stehen mit den Zielen einer wissenschaftlich begründeten Medizin („evidence based medicine”), ethisch-moralischer ärztlicher Verantwortung („good clinical practice”), hoher, gleichbleibender Qualität (Qualitätssicherung) und den Ansprüchen der Kostenträger („managed care”, „good economic practice”). Auch die präoperative Eigenblutspende (preoperative autologous blood donation = PABD) muss sich dieser Herausforderung stellen.

Die grundlegenden Konzepte zur medizinischen und ökonomischen Bewertung von ärztlich-therapeutischen Maßnahmen entstammen der klinischen Epidemiologie und sind mit den Begriffen Wirksamkeit, Effektivität und Effizienz charakterisiert [1].

Unter Wirksamkeit („efficacy”) versteht man die Wirkung einer Maßnahme bezogen auf ein definiertes Zielkriterium unter idealen Bedingungen. Im medizinischen Bereich relevante Zielkriterien sind z. B. Mortalitätsrate, Morbiditätsrate, Inzidenz etc. Diese Zielgrößen sind häufig Surrogatparameter, der eigentliche medizinische Nutzen (s. u. Effektivität) einer Intervention wird mit ihnen nicht erfasst. Wirksamkeit wird in kontrollierten, randomisierten Studien, z. B. bei der Einführung neuer Medikamente in Phase-II-Studien untersucht.

Unter Effektivität („effectiveness”) versteht man die Wirkung einer Maßnahme unter Alltagsbedingungen. Die zu beantwortende Frage lautet: leistet die Therapie für denjenigen, dem sie verordnet wird, mehr Gutes als Schlechtes. Das relevante Zielkriterium ist der tatsächliche Gewinn an Lebenserwartung durch eine Maßnahme. Da der Gewinn an Lebenserwartung aber i. d. R. nicht mit einem vollständigen Erhalt der Gesundheit verbunden ist, wird er korrigiert durch einen Faktor, der das Ausmaß an Einschränkung an Lebensqualität quantifiziert. Die resultierende Größe ist das gewonnene „quality adjusted life year” (QALY). Die Frage nach der Effektivität wird in kontrollierten und unkontrollierten Studien, im Falle von Arzneimittelprüfungen in Phase-III- und -IV-Studien untersucht. Sind solche Studien nicht vorhanden, werden theoretische Modelle eingesetzt, wie z. B. die Entscheidungstheorie („decision analysis”). Mit den anhand solcher Modelle gewonnenen Daten lassen sich die Auswirkungen einer medizinischen Intervention bezüglich ihrer Effektivität charakterisieren. Die bisher publizierten Studien zu PABD bedienen sich praktisch ausnahmslos des letztgenannten Modells.

Zur Ermittlung der Effizienz, definiert als die Effektivität bezogen auf die eingesetzten Ressourcen, lassen sich die gewonnenen Lebensjahre oder QALY dann in Beziehung setzen zu den hierfür aufgewandten finanziellen Mitteln, d. h. es wird eine Kosten-Effektivitäts-Analyse („cost-effectiveness-analysis”) durchgeführt.

Ein vereinfachtes Beispiel mag das Vorgehen bei einer Kosten-Effektivitäts-Analyse verdeutlichen. Es wird die Kosten-Effektivität von PABD für die Verhinderung einer HCV-Infektion bei einem 40jährigen Patienten mit einem elektiven orthopädischen Eingriff mit einer Transfusionswahrscheinlichkeit von 50 % für diesen Eingriff ermittelt:

Das kalkulierte Restrisiko für eine HCV-Infektion nach Einführung der NAT-Testung wird mit 1 : 450.000 bis 1 : 1,6 Mio. angegeben. Nimmt man den ungefähren Mittelwert, also ein Restrisiko von 1 : 1 000 000 Blutkonserven an. ergibt sich ein Restrisiko von 1: 500 000 Transfusionsepisoden unter der vereinfachenden Annahme, dass zwei Konserven transfundiert werden und alle Transfusionsempfänger damit adäquat versorgt sind. Die durchschnittliche Reduktion der Lebenserwartung nach einer HCV-Infektion liegt für 40-jährige bei ca. 6 Jahren (sie beträgt nach Literaturangaben zwischen 2 Jahren bei milder chronischer Infektion, 18 Jahren bei kompensierter Zirrhose und ca. 30 Jahren bei dekompensierter Zirrhose; über zwei Drittel der Infektionen verlaufen langsam progredient ohne Entwicklung einer Zirrhose).

Die Mehrkosten für ein autologes Depot von zwei Blutkonserven gegenüber der Bereitstellung von homologen Präparaten werden mit 100 DM angenommen. Wegen der Transfusionsrate von 50 % und der Tatsache, dass eine Fremdbluttransfusion praklisch immer die Gabe von 2 Präparaten bedeutet, müssen zur Verhinderung einer HCV-Infektion 1 Mio. Patienten mindestens 2 Eigenblutkonsenen spenden. Die Kosten betragen dann 100 Mio. DM. Nimmt man weiterhin vereinfachend an, dass die gewonnenen Lebensjahre ohne eingeschränkte Lebensqualität erlebt wurden, beträgt der medizinische Nutzen 6 QALY. Ein weiterer Nutzen besteht in den verhinderten Therapiekosten für die HCV-Infektion. Die Angaben aus der Literatur hierzu zeigen große Unterschiede und sind allgemein sehr vage. Es wurden 500 000 DM angenommen, ein bewusst eher hoch gegriffener Betrag. Aus den Dimensionen der einzelnen Zahlen, die in die Berechnung eingeben, ist aber erkennbar, dass es für die Kosten-Effektivität nur wenig ausmacht, ob dieser Betrag tatsächlich eher bei 50 000 oder 1 Mio. DM liegt. Die Nettokosten betragen dann 100 Mio. - 500 000 = 99,5 Mio. DM. Die Kosten-Effektivität beträgt dann 99,5 Mio. /6 = 16,6 Mio. DM/QALY.

Das aufgeführte Beispiel kann mit der Annahme von Risikofaktoren mit anderer Ereigniswahrscheinlichkeit und/oder anderem Einfluss auf die Lebenserwartung, von Operationen mit anderer Transfusionswahrscheinlichkeit, anderem Patientenalter etc. erneut durchgerechnet werden. Es lässt sich dann ein Eindruck davon vermitteln, in welchem Ausmaß die verschiedenen Faktoren die Kosten-Effektivität von PABD beeinflussen.

Literatur

  • 1 Fletcher R H, Fletcher S W, Wagner E H. Klinische Epidemiologie: Grundlagen und Anwendung. Deutschspr. Ausg. Haerting J & Rink C (Hrsg.). Ullstein Medical. Wiesbaden 1999
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  • 3 Karger R, Weippert-Kretschmer M, Kretschmer V. Pre-operative autologous blood and plasma donation and retransfusion. In: Kretschmer V & Blauhut B (ed.) Baillière's Clinical Anaesthesiology. Blood, Blood Products and Blood Saving Techniques. Baillière Tindall. London; 1997: 319-333
  • 4 Birkmeyer J D, Goodnough L T, AuBuchon J P, Noordsu P G, Littenberg B. The costeffectiveness of preoperative autologous blood donation for total hip and knee replacement.  Transfusion. 1993;  33 544-551
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  • 6 Etchason J, Petz L, Keeler E, Calhoun L, Kleinman S, Snider C, Fink A, Brook R. The cost-effectiveness of preoperative autologous blood donation.  N. Engl. J. Med.. 1995;  332 719-724
  • 7 Goodnough L T, Grishaber J E, Birkmeyer J D, Monk T G, Catalona W J. Efficacy and cost-effectiveness of autologous blood predeposit in patients undergoing radical prostatectomy procedures.  Urology. 1994;  44 226-231
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  • 9 Karger R, Kretschmer V. Die Bedeutung der Qualität von Vollblut und Erythrozytenkonzentraten für die Eigenbluttransfusion. Eine Literaturübersicht und Metaanalyse der Erythrozytenüberlebensraten in vivo.  Anaesthesist. 1996;  45 694-707
  • 10 Karger R, Helfen M, Griss P, Kretschmer V. Einfluß der autologen Vollbluttransfusionen auf den postoperativen Verlauf nach elektiven orthopädischen Eingriffen. In: Mempel W, Mempel M, Schwarzfischer G, Endres W (Hrsg.) Hämatologie Band 5. Eigenbluttransfusion aus heutiger Sicht.  8. Informationstagung über Eigenbluttransfusion, München, Sympomed. München. 31. März - 1. April 1995;  5 189-196

Dr. med. R. Karger

Klinikum der Philipps-Universität Marburg

Abt. für Transfusionsmedizin und Gerinnungsphysiologie

Conradistraße

95033 Marburg

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