Klin Padiatr 2001; 213(4): 153-154
DOI: 10.1055/s-2001-16845
EDITORIAL

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Entwicklungen in der Therapie der akuten lymphoblastischen Leukämien des Kindesalters in der DDR bis 1991

Treatment of children with acute lymphoblastic leukemias in the German Democratic Republic (GDR) till 1991
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Publication Date:
29 August 2001 (online)

Vor etwa zehn Jahren, im September 1990, hatte die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft „Pädiatrische Hämatologie und Onkologie” der Gesellschaft für Pädiatrie der DDR nach 24-jähriger erfolgreicher Arbeit auf der Basis der Wiedervereinigung Deutschlands mehrheitlich entschieden, sich aufzulösen und der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie beizutreten. Dieses Datum berechtigt heute vielleicht zu einem kurzen Rückblick vor allem auf den wissenschaftlichen Stand der Leukämietherapie in dieser Arbeitsgemeinschaft. Bedenken existierten damals sicher auf beiden Seiten. Auf östlicher Seite, die ja die wesentlich kleinere Gruppe darstellte, war es vor allem die Unsicherheit vor einem komplett neuem System, das zwar die meisten herbeigesehnt hatten, das aber für sie im täglichen Leben viele Unwägbarkeiten enthielt. Die westliche Seite als dominierende Gruppe mag vor allem darüber besorgt gewesen sein, ob der Standard in den östlichen Zentren den Ansprüchen des erreichten Standes der Ergebnisse entsprechen würde oder ob diese nach unten gezogen würden. Rückblickend muss man feststellen, dass beide Befürchtungen unberechtigt waren.

Die Entwicklung der pädiatrischen Onkologie vor allem auf dem Gebiet der Therapie der akuten lymphoblastischen Leukämien innerhalb der Arbeitsgemeinschaft „Pädiatrische Hämatologie und Onkologie” der Gesellschaft für Pädiatrie der DDR spiegelt die internationale Erfolgsgeschichte der 70er und 80er Jahre relativ korrekt wider. In dieser Zeit wurden fünf Therapieprotokolle in den angeschlossenen neun Kinderkliniken von Hochschulen und fünf Kinderkliniken von Bezirkskrankenhäusern verwendet. Studienzentrale war die Universitäts-Kinderklinik Jena. Im Jahre 1967 war die Arbeitsgemeinschaft „Leukose im Kindesalter” von Wolfgang Plenert in Jena gegründet worden, die später in die Arbeitsgemeinschaft „Pädiatrische Hämatologie und Onkologie” umgewandelt wurde. Nach anfänglich relativ lockerer Zusammenarbeit, jedoch mit konkreten Therapieempfehlungen, wurde die Organisation in der zweiten Hälfte der 70er Jahre gestrafft und ein Meldesystem mit einem Referenzlabor für die morphologische und zytochemische, später auch für die immunologische Diagnostik eingeführt.

Von 1973 bis 1981 orientierte sich die Therapie der ALL des Kindes in der DDR an den so genannten Memphis-Protokollen von D. Pinkel und am LSA2L2-Protokoll des Memorial Sloan Kettering Institutes in New York. Aus Praktikabilitätsgründen soll hier nur auf die Studien eingegangen werden, die seit 1976 durchgeführt wurden. Details der verschiedenen Protokolle sind publiziert und sollen hier nicht näher behandelt werden.

In Abstimmung mit der österreichischen Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Krepler wurde 1976 ein Protokoll erarbeitet, das in der DDR die Bezeichnung ALL-Therapie-Studie IV trug und das im Wesentlichen dem Memphis „Total Therapy Protocol VII” entsprach. Von Januar 1976 bis Dezember 1977 wurden insgesamt 111 Studienpatienten erfasst (Abb. [1]). Das Studiendesign sah bereits eine Diskriminierung in Low- und High-Risk-Patienten vor. Obwohl 95 % der Kinder eine Remission erreichten, betrug schließlich das EFS nur 35 % (47 % für 34 Low-Risk- und 29 % für 77 High-Risk-Patienten).

In den folgenden Protokollen wurde nur für die Low-Risk-Patienten eine intensivierte Memphis-Strategie, die häufigere Reinduktionen mit Vincristin, Daunorubicin und Cytosin-Arabinosid für die Dauer von 36 Monaten beinhaltete, beibehalten (ALL-Therapie-Studie V). High-Risk-Patienten wurden nach dem LSA2L2-Protokoll nach N. Wollner behandelt. Die Patientenaufnahme erfolgte von Januar 1978 bis April 1981 (Abb. 1). Die Gesamtzahl der Low- und High-Risk-Patienten betrug 267. 93 % der Patienten erreichten eine komplette Remission. Das EFS war jedoch mit 41 % gegenüber der Vorstudie nur gering verbessert worden (EFS für 183 Low-Risk-Patienten 47 % und für 84 High-Risk-Patienten 27 %). Die Veränderungen in der Verteilung der Patienten auf die Risikogruppen in den Jahren 1976/77 und 1978/81 zeigt, wie sich die Wichtung klinischer Risikomerkmale verändert hatte.

Die vorliegenden unbefriedigenden Ergebnisse mit unserer bisherigen Therapie und die inzwischen publizierten Daten der BFM-Gruppe (H. Riehm) veranlassten die Studienleitung, den teilnehmenden Kliniken einen Wechsel in der ALL-Therapiestrategie vorzuschlagen.

Dieser Wechsel wurde mit der Studie ALL-VII/81 realisiert, bei der es sich um eine in zwei Positionen veränderte ALL-BFM-Studie 81 handelte. Eine Veränderung bestand darin, dass L-Asparaginase nicht täglich in einer Dosierung von 5000 E/m2 appliziert wurde, sondern zweimal wöchentlich in einer Dosis von 10 000 E/m2. Die zweite Änderung bezog sich auf die randomisierte Therapiedauer. Nach 18 Monaten erhielt ein Zweig nach einer 14-tägigen Therapiepause eine Reinduktion mit Protokoll III und danach keine weitere Therapie. Patienten des zweiten Zweiges erhielten ohne Pause die Dauertherapie für weitere 6 Monate. Das BFM-Protokoll sah diese späte Reinduktion nicht vor.

Insgesamt waren von 1981 bis 1987 524 Studienpatienten in die Studie ALL-VII/81 aufgenommen worden. Von allen Patienten erreichten 96 % eine erste komplette Remission (SR: 97 %, MR: 95 %, HR: 91 %). Das Gesamtergebnis des EFS lag bei 58 % (Abb. 1). Die Ergebnisse der in allen Risikogruppen randomisierten Therapiedauer zeigten keinen Unterschied der Gruppe mit 18 Monaten plus Spätreinduktion gegenüber dem Zweig, der 24 Monate Therapie erhielt. Insgesamt war eine Verbesserung der Heilungsrate von nahezu 20 % erreicht worden. Die persönliche Unterstützung durch H. Riehm bei der Einführung der BFM-Strategie war von erheblicher Bedeutung für die Motivation unserer Zentren.

Es folgte die ALL-BFM-Studie 86, die von der damaligen Arbeitsgemeinschaft mit einer einzigen Modifikation übernommen wurde. In der Studie ALL-VIII/87 wurde im M-Protokoll anstatt 5 g/m2 Methotrexat nur 1 g/m2 verwendet. Von 1/1988 bis 8/1991 waren 290 Studienpatienten aufgenommen worden. 97 % erreichten eine erste komplette Remission, und das EFS beträgt für die Gesamtgruppe 76 % (SR-Gruppe: 84 %, Risikogruppe: 75 %, experimentelle Gruppe: 55 %). Bezüglich der Modifikation ist festzustellen, dass dies keinen Nachteil für das Gesamtergebnis brachte (Abb. [2]).

Inzwischen sind 10 Jahre vergangen, und die ostdeutsche pädiatrische Onkologie und Hämatologie ist fest in der GPOH verankert. Der überwiegende Teil der Kliniken hat sich den BFM-Studien angeschlossen.

Prof. Dr. Felix Zintl

Friedrich-Schiller-Universität Jena
Klinik für Kinder-und Jugendmedizin

Kochstraße 2

07745 Jena

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