Zentralblatt für Kinderchirurgie 2002; 11(2): 93-94
DOI: 10.1055/s-2002-30155-2
Kommentar

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

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L. M. Wessel
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Publication Date:
13 May 2004 (online)

Die Autoren berichten über ihre Erfahrungen mit der Kernspintomographie in der Diagnostik gelenknaher Frakturen am Unterschenkel. Es handelt sich hier um eine Kasuistik von 10 Fällen. Inwiefern eine Studie mit Protokoll und formulierten Zielsetzungen vorliegt, lässt sich nur erahnen, erscheint jedoch unwahrscheinlich. Grundsätzlich ist der Wert einer solchen Kasuistik nicht hoch anzusetzen, da weder eine exakte Fragestellung erarbeitet noch ein Vergleich verschiedener diagnostischer Methoden vorgenommen worden ist. Mit ähnlichen Kasuistiken können Kinderchirurgen nicht am internationalen Vergleich anknüpfen [1 4] [6] [7] [13]. Kein Wunder dass Kinderchirurgen, die solche Studien veröffentlichen, nicht Ernst genommen werden.

Ungezweifelt ist die Kernspintomographie in diagnostischer Hinsicht eine regelrechte Bereicherung, wie von den Autoren in der Einleitung betont wird. Die hervorragende Auflösung erlaubt eine exakte Darstellung der Morphologie. Durch den Einsatz verschiedener Sequenzen und Einstellungen lassen sich die anatomischen Strukturen überzeugend sichtbar machen. In mehreren Publikationen wurde der Stellenwert dieses Schnittbildverfahrens unter Beweis gestellt [1] [3] [6] [8] [11] [12]. Die MRT hat jedoch den Nachteil, dass sie sehr sensitiv ist und somit Signalveränderungen dem interpretierenden Arzt erhebliche Interpretationsschwierigkeiten liefern kann. Hier besteht immer die Gefahr der Fehlinterpretation [1] [5] [9].

Grundsätzlich sollte das diagnostische Mittel der Wahl in der Traumatologie, und da bildet die Kindertraumatologie keine Ausnahme, die konventionelle Radiologie sein. Sie stellt in der Regel die knöchernen Verletzungen zuverlässig dar, vorausgesetzt, der behandelnde Arzt weiß, was er sehen muss [5]. Auch die teuerste Zusatzdiagnostik kann die mangelnde Kenntnisse des wachsenden Skelettes nicht ersetzen [5] [9]. Selbstredend gibt es nicht sichtbare Frakturen, die in der konventionellen Radiologie - wie der Name schon eindeutig zu erkennen gibt - nicht oder nur sehr schwer zu erkennen sind, nicht zuletzt deshalb, weil keine Dislokation vorliegt. Diese Frakturen lassen sich klinisch diagnostizieren und mit einer Ruhigstellung im Gips zur Schmerzausschaltung behandeln [1] [5]. Mir ist keine Studie bekannt, die den Beweis erbracht hat, dass solche „übersehene” okkulte Verletzungen zu Invalidisierungen führen.

Zu den Fallberichten lässt sich einiges anmerken.

Im ersten Fall beschrieben die Autoren eine nicht dislozierte Fraktur der proximalen Tibia. Auf dem konventionellen Röntgenbild in einer Ebene, das durch die schlechte Qualität kaum etwas erkennen lässt, ist keine Fraktur nachzuweisen. Trotzdem kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass eine solche Fraktur erkennbar sein muss. Die Diagnose eines kleinen Einrisses des Lig. patellae lässt sich auf der einen Abbildung der MRT nicht nachvollziehen und müsste mit einer anderen Methode, wie die Sonographie, zumindest überprüft werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich um das Hämatom nach der Fugenlösung handelt. Es ist mir aus der Literatur nicht bekannt, dass beide Verletzungen (proximale Tibiaepiphysiolyse und Ruptur des Lig. patellae) gleichzeitig auftreten und wenn man so etwas postuliert, dann sollten wenigstens handfeste Beweise dafür vorliegen.

Es ist bekannt, dass sich bei nicht dislozierten Frakturen in der Nähe der Wachstumsfugen Ödeme um die Fuge bilden können [3] [6] [11]. Die Autoren setzen jedoch diese Ödeme mit einer „Kontusion” der Fuge gleich und schrecken sogar nicht davor zurück, die Salter-Harris V-Verletzung ins Feld zu führen. Was sie unter einer Kontusion verstehen, bleibt dem Leser verschlossen. Allerdings kann die Evidenz einer Langzeitschädigung mit dieser Kasuistik nicht erbracht werden, sodass entsprechende Kommentare und Forderungen nach Langzeitbeobachtung mittels MRT einfach unseriös sind.

Es ist schade, dass die Autoren Aitken II- und -III-Frakturen nicht von den Übergangsfrakturen abgrenzen [5]. Einmal handelt es sich um eine ausgewachsene Patientin. In einem Fall scheint mir eher eine habituelle Patellaluxation vorzuliegen [4] [11]. Zusätzlich wurde eine Meniskusverletzung diagnostiziert und behandelt, hier hätte man wenigstens die Bilder der Arthroskopie hinzufügen müssen. Die Interpretation der Signalveränderungen im wachsenden Meniskus ist nun mal sehr schwierig, und Meniskusverletzungen sind im Wachstumsalter eine absolute Rarität [6] [10] [13]. Schon aus dem Grunde hätte man gerne den Beweis der Meniskusläsion demonstriert bekommen.

Ferner müssten die Autoren näher beschreiben, was sie unter Wachstumsfugenverletzungen verstehen. Der Begriff Physenfugenverletzung ist mir persönlich nicht geläufig; wahrscheinlich werden Wachstumsfugenverletzungen gemeint. Es empfiehlt sich dann schon, sich an die Nomenklatur zu halten. Nur selten werden Fugenlösungen an den unteren Extremitäten Anlass zu Wachstumsstörungen geben [5]. Prinzipiell sind die Fugenlösungen (mit oder ohne metaphysären Keil) im metaphysären Anteil der Fuge gelegen. In diesem Bereich besteht eine Mineralisationsfähigkeit und keine proliferative Potenz. Natürlich wäre es sinnvoll, diese Frakturen weiter zu beobachten, aber dies müsste in einer prospektiven und kontrollierten Studie erfolgen [12].

Die meisten Zusatzdiagnosen, die in dieser Kasuistik gestellt wurden, bleiben ohne klinische Relevanz. Es muss festgehalten werden, dass sich die Autoren nicht die Mühe gemacht haben, eine Evidenz für ihre Hypothesen nachzuweisen. Dies gilt in erster Linie für die „bruises”. Selbstredend lassen sich diese darstellen, und zwar sehr sensitiv in den TIRM (oder STIR) Sequenzen, aber welche klinische Konsequenz besitzen sie? Dies muss kritisch hinterfragt werden und die Autoren bleiben die Antwort schuldig. Mit einer Kasuistik lässt sich diese Frage nicht beantworten, sie erlaubt dann andererseits auch keine Schlussfolgerungen.

Ebenso absurd erscheint die Forderung nach einer 24-Stunden-Verfügbarkeit der MRT in der Kindertraumatologie: auf welche Evidenz hin wird diese Forderung gestellt? Dies gilt auch für die Frage der therapeutischen Relevanz. Eine solche muss dringend beantwortet werden und dazu ist eine prospektive, kontrollierte Studie unerlässlich. Erst dann können seriöse Empfehlungen für den Einsatz der MRT in der Kindertraumatologie ausgesprochen werden.

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    Priv.-Doz. Dr. Lucas M. Wessel

    Kinderchirurgische Universitätsklinik Heidelberg-Mannheim

    Im Neuenheimer Feld 110

    69120 Heidelberg

    Email: lucas_wessel@med.uni-heidelberg.de

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