Pneumologie 2002; 56(6): 339-344
DOI: 10.1055/s-2002-32166
Historisches
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

100 Jahre Ruhrlandklinik

Von der Tuberkuloseheilstätte zum LungenzentrumCentenary of the „Ruhrland Clinic”N.  Konietzko1
  • 1Ruhrlandklinik, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie
Further Information

Publication History

Publication Date:
12 June 2002 (online)

Gründung und Klinikbau

Die Gründung der Ruhrlandklinik vor nunmehr 100 Jahren und ihre Entwicklung bis weit hinein in die Mitte des vorigen Jahrhunderts ist eng verknüpft mit der Verbreitung der Tuberkulose in unserem Land. Das Leid, das diese Volksseuche verbreitete, ist für uns Heutige kaum noch vorstellbar: Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert starben im damaligen Deutschen Reich jährlich 200 Menschen/100 000 Einwohner an Tuberkulose, und zumeist waren es Kinder und junge Erwachsene. In industriellen Ballungsgebieten wie dem Ruhrgebiet, an dessen Südrand die Klinik liegt, Gebieten mit enormen sozioökonomischen Spannungen, traten die Probleme noch viel stärker hervor. Trotz Entdeckung des Erregers der Tuberkulose 20 Jahre zuvor durch Robert Koch, war eine Heilung nicht in Sicht. Jedoch gab die medizinische Großtat Robert Kochs Therapieansätzen neuen Auftrieb, die schon seit geraumer Zeit existierten, wie der Heilstättenbewegung des Berliner Lungenarztes Hermann Brehmer, der 1856 im Riesengebirge in Görbersdorf ein Sanatorium errichtet und Heileffekte beschrieben hatte. Für den Geld- und Hochadel gab es bald vorzügliche Einrichtungen dieser Art, vor allem in der Schweiz, die heute noch - zu Luxushotels umfunktioniert - beeindrucken. Um auch den sozial schwächeren, von der Tuberkulose aber am stärksten betroffenen Bevölkerungsschichten eine solche Behandlung zukommen zu lassen, entstand die „Volksheilstättenbewegung”, unterstützt vom „Deutschen Centralkomitee zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke”, dem späteren „Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose”.

„Als mit dem Ende des vergangenen Jahrhunderts die Volksheilstättenbewegung in Deutschland an Boden zu gewinnen begann, und dieser humanitäre Gedanke in den Industriekreisen des Westens besonders lebhaften Widerhall fand”, heißt es im Bericht des ersten Chefarztes der Ruhrlandklinik, Professor Dr. F. Köhler, „wurde der „Verein zur Errichtung von Volksheilstätten für die Kreise Essen Stadt und Land, Mülheim Stadt und Land, Oberhausen, Ruhrort und Duisburg” gegründet”. In kurzer Zeit standen durch Spenden Mittel für einen Baufonds in Höhe von 400 000 Mark zur Verfügung, eine für damalige Verhältnisse unvorstellbare Größenordnung, die heute einem Wert von ca. 150 Mill. entspricht. Auch die jährliche Kopfsteuer von 1 Pfennig in den genannten 7 Ruhrkreisen, 1904 sogar auf 2 Pfennig erhöht, ist eine erstaunliche Aktion, die von Bürgersinn und Solidarität zeugt, wie man dies heute nicht so leicht findet. Innerhalb eines Jahres war die Heilstätte in luftiger Höhe des Bergischen Landes, 136 Meter über dem Meeresspiegel, aber geschützt durch Buchen- und Tannenwälder, fertiggestellt (Abb. [1]). Am 12. Juli 1902 konnte sie im Beisein zahlreicher Ehrengäste durch den an dem Projekt maßgeblich beteiligten Vorsitzenden des Lungenheilstättenvereins, den Duisburger Oberbürgermeister und späteren Bundesinnenminister im Kabinett Adenauer, Dr. Lehr, eröffnet werden. Der Klinikbetrieb lief gut an und bereits im Jahr 1904 wurde der tausendste Patient aufgenommen. Die Krankenpflege teilten sich zwei Schwestern und zwei „Wärter”, die medizinische Betreuung lag in Händen des Chefarztes, Professor Dr. Köhler, und zweier „Anstaltsärzte”. Diesen stand ein gut ausgestattetes Labor und eine wohl sortierte Bibliothek zur Verfügung. Die eher kontemplative Arbeitsatmosphäre in der damaligen „Lungenheilstätte Holsterhausen” lässt sich aus immerhin 107 Publikationen in der Zeit von 1903 bis 1914 erahnen.

Abb. 1 Klinikaltbau aus dem Jahre 1902.

Die Heilstätte prosperierte derart, dass 10 Jahre nach der Eröffnung des „Altbau” bereits der Bau eines neuen Kliniktraktes in Angriff genommen wurde. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges setzte jedoch den Bauarbeiten ein Ende. Schlimmer noch, die Heilstätte musste geschlossen werden, da die Ärzte, ein Teil des Personals und die Mehrzahl der Patienten (!) zum Kriegsdienst einberufen wurden. Nur Dank der Intervention des „Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose” auf politischer Ebene und der Gestellung geeigneter Ärzte durch die gleiche Organisation konnte der Betrieb wenige Monate später wieder aufgenommen werden. Auch die Bauarbeiten schritten manchen äußeren Schwierigkeiten zum Trotz zügig voran, so dass im Oktober 1916 der architektonisch eindrucksvolle Neubau eingeweiht werden konnte. Er war für damalige Verhältnisse erstaunlich großzügig angelegt, die Einteilung in drei Klassen war abgeschafft worden, in der Mehrzahl gab es Zweibettzimmer. Die Heilstätte verfügte nun über 200 Betten.

Zu Ende des 1. Weltkrieges geriet der Träger in finanzielle Turbulenzen, und die LVA Rheinprovinz als größter Beleger der Klinik entschloss sich, die Heilstätte samt zweier Gutshöfe und 300 Morgen Land für den Betrag von 1375 Mill. Mark zu übernehmen. Sie ist heute noch der Träger der Ruhrlandklinik.

Prof. Dr. N. Konietzko

Ruhrlandklinik, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Tüschener Weg 40

45239 Essen

    >