Zeitschrift für Palliativmedizin 2003; 4(3): 75-84
DOI: 10.1055/s-2003-44294
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Euthanasie bei unerträglichem Leid?

Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zum Thema Sterbehilfe im Jahre 2002Euthanasia and Unbearable Suffering?A Survey by the German Association for Palliative Medicine (DGP) in 2002Hans-Christof  Müller-Busch1 , Eberhard  Klaschik2 , Fuat  Oduncu3 , Thomas  Schindler4 , Susanne  Woskanjan5
  • 1Abteilung für Anästhesiologie, Schmerztherapie und Palliativmedizin, GK Havelhöhe, Berlin, Universität Witten/Herdecke
  • 2Abteilung für Anästhesiologie, Intensiv-/Palliativmedizin und Schmerztherapie, Malteser Krankenhaus Bonn
  • 3Klinikum der Universität München, Medizinische Klinik - Innenstadt, München
  • 4Palliativmedizinischer Konsiliardienst Nordrhein-Westfalen, Geldern
  • 5Palliativ-Zentrum Berlin-Brandenburg, Berlin
Diese Untersuchung wurde unterstützt mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und der Fa. Mundipharma, GmbH. Wir danken auch allen teilnehmenden Kliniken und Organisationen, die die Verbreitung und Rücksendung des Fragebogens ermöglichten
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Publication Date:
17 November 2003 (online)

Zusammenfassung

Angeregt durch Befragungen in anderen Ländern und vor dem Hintergrund der jüngsten Euthanasiegesetzgebung in den Niederlanden und Belgien hat der Arbeitskreis „Ethik” der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) im Jahre 2002 eine Befragung der Mitglieder (n = 730) dieser Fachgesellschaft durchgeführt. Mit einem schriftlichen, anonymen Fragebogen, bestehend aus 14 Multiple-choice-Fragen, wurde in hypothetischen Szenarien nach der persönlichen Einstellung zu verschiedenen Formen der Sterbehilfe gefragt. Definitionen, die in der Debatte um Möglichkeiten einer vorzeitigen Lebensbeendigung in Deutschland von Bedeutung sind sowie die ethische und rechtliche Bewertung dieser Handlungsformen, wurden zum besseren Verständnis angegeben. Die Rücklaufquote der Fragebogen betrug 61 % (n = 251) bei den Ärzten sowie 51 % bei den assoziierten Mitgliedern aus Pflege und anderen Berufsgruppen (n = 147). Die Auswertung erfolgte nach Berufsgruppen getrennt und wurde mit den Antworten einer Vergleichsgruppe von 505 Ärzten und 338 Pflegenden bzw. Beschäftigten aus anderen Berufen im Gesundheitsbereich außerhalb der DGP in Beziehung gesetzt. Eine Legalisierung der Euthanasie wurde von 90 % der Ärzte und 83 % der pflegenden Mitglieder der DGP im Gegensatz zu 73 % der Ärzte und 35 % der Pflegenden außerhalb der DGP abgelehnt. Eine Legalisierung des medizinisch-assistierten Suizids wurde von 74 % der Ärzte und 69 % der Pflegenden der DGP im Gegensatz zu 59 % der Ärzte und 22 % der Pflegenden außerhalb der DGP abgelehnt. Die Auswertung der Fragebogen ergab, dass die ablehnende Einstellung zur gesetzlichen Regelung von Formen der Sterbehilfe vor allem bestimmt wird von eigenen ethischen Prinzipien, professioneller Erfahrung und fachlichem Wissen, der Kenntnis alternativer Möglichkeiten, der Kenntnis medizinethischer Prinzipien bzw. der Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung, wie sie 1998 von der Bundesärztekammer formuliert wurden. In deutlichem Gegensatz zu Untersuchungen in anderen Ländern wurde eine Legalisierung der Euthanasie in dieser Befragung nur von 9,6 % der Ärzte und 16,2 % der Pflegenden der DGP ganz bzw. teilweise befürwortet, wobei die historischen Erfahrungen mit Krankentötungen im Nationalsozialismus für die Antworten in dieser Befragung keine signifikante Rolle spielten.

Abstract

Recent legalization of euthanasia in the Netherlands and Belgium has stimulated a highly controversial international debate on the issues of premature termination of life. In 2002, the Working Group on Ethics of the German Association for Palliative Medicine (DGP) has conducted a survey among its members in order to evaluate their attitudes towards different medical end-of-life practices. An anonymous questionnaire was sent to the 730 members of the DGP, consisting of 14 different multiple choice questions on positions that might be adopted in different hypothetical scenarios on situations of „intolerable suffering” in end-of-life care. For the sake of clarification, several definitions and legal judgements of different terms used in the German debate on premature termination of life were included. Questionnaires were returned by 251 physicians, 147 nurses and other health care professionals. The response rate with one mailing was 61 % by physicians and 51 % by other health care professions. The answers were compared with 505 questionnaires from physicians and 338 questionnaires from nurses and other health care professionals outside the DGP. The results showed that legalization of euthanasia was opposed by 90 % of the DGP physicians in contrast to 73 of non DGP physicians and by 83 % of the DGP nurses in contrast to 34 % of non DGP nurses. Legalization of physician-assisted suicide (PAS) was opposed by 74 % of DGP physicians in contrast to 59 % of non DGP physicians, and by 69 % of DGP nurses in contrast to 22 % of non DGP nurses. The results revealed that the opposing attitudes were only very little based on the specific historical background with medically killing in the Nazi-period, but strongly influenced by personal ethical values, professional experience with palliative care, knowledge of alternative approaches and knowledge of principles in medical ethics. In contrast to surveys in other countries in this survey only a minority of 9.6 % of the DGP physicians and 16.2 % of the nurses supported the legalization of euthanasia.

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PD Dr. H. Christof Müller-Busch

Abteilung für Anästhesiologie, Palliativmedizin und Schmerztherapie am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe

Kladower Damm 221

14089 Berlin

Email: muebu@havelhoehe.de

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