Balint Journal 2003; 4(4): 120
DOI: 10.1055/s-2003-45182
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zu Eckart Grau „Eindrücke eines Neuen” auf der 6. Balint-Tagung in Kloster Schöntal vom 6.7. bis 8.7.2001 (Balint 2002; 1: 23 - 25)

LeserbriefA. Drees1
  • 1Zentrum für prismapoetische Gespräche
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
02. Januar 2004 (online)

Lieber Herr Grau

Ihr Bericht über Spannungen und Gegensätze zwischen psycho- und somazentrierten Kollegen in einer Balint-Gruppe zum Thema Dialyse erinnerte mich an eine vergleichbare Situation. Sie ermöglichte mir in den 70er Jahren einen dritten Pol einzuführen, den einer deutungsübergreifenden Arbeitsmethode.

In der Dialyse-Abteilung der Medizinischen Hochschule Hannover konnte ich in einer Balint-Gruppe studieren, wie psychische Verarbeitungsweisen von Dialyse Stress bei Patienten und Mitarbeitern in Abhängigkeit von institutionellen Bedingungen und Tabus sich entfalten. Die im Verlauf von 10 Jahren, einmal wöchentlich stattfindende Balint-Gruppe mit dem Behandlungsteam, brachte mir entscheidende Hinweise auf spezifische Transformationsprozesse in Institutionen.

Die in dem relativ langen Zeitraum immer wieder auftauchenden, zum Teil identischen Teamkonflikte in der Balint-Gruppe konnten in ihrem quasi-rituellem Charakter zunehmend besser verstanden werden. So erlebten wir anfangs erstaunt, dass sich eine relativ gleiche Konfliktkonstellation einstellte, wenn im Patientenbereich nicht ansprechbare Ängste, Verzweiflung oder somatisierte Trauerreaktionen, z. B. durch den Tod eines Mitpatienten, das Behandlungsklima beeinträchtigten. Nach einer Phase bedrückter Lustlosigkeit mit zum Teil somatisierter Abwehr formierte sich in der Gruppe daraufhin eine kämpferisch aggressive Front der Frühschicht mit Frau Dr. X gegen den „unmöglichen Oberarzt Y”, der mit der Spätschicht koalierte. Die emotionalen Verhakungen zeigten sich dabei so resistent, dass sie sich in der Balint-Gruppe nicht verstehen und lösen ließen. Institutionelle Abhängigkeits- und Rollenfixierungen blockierten darüber hinaus die Aufarbeitung. Die Verbindung von Team Eruptionen zu den auslösenden frei flottierenden Ängsten der Patienten konnte dabei jedoch nicht in den Blick geraten. Die einzelnen Teammitglieder klammerten sich an ihren als individuell stabilisierend erlebten Emotionen.

Schrittweise mussten wir verstehen lernen, dass Konflikte der Mitarbeiter Transformationsprodukte nicht ansprechbarer, frei flottierender Ängste der Patienten darstellen können und dass diese gleichzeitig haltgebende Funktion für den einzelnen Mitarbeiter wie für das Team besitzen. Teamkonflikte dienen also in dieser Sicht der Ableitung und Neutralisierung chaotischer, angstvoll abgewehrter, nicht ansprechbarer Erlebnisinhalte. Sie besitzen dabei Halt gebende und System stabilisierende Bindungsfunktion. Das Angstthema der Patienten bleibt dabei jedoch auf der Strecke. Die Funktion und die Tabus einer Institution werden also wiederhergestellt durch die Verschiebung angstbesetzter, nicht erlaubter Gefühle in die emotionalen Beziehungsverhakungen der Mitarbeiter.

Im Verlauf unserer zehnjährigen Suchbewegungen in dem Dialysezentrum entwickelte sich schrittweise das Modell einer prismatischen Balint-Gruppe, in der Gefühle, Körpersensationen, Stimmungen, Fantasien und Einfälle der einzelnen Gruppenmitglieder als Facetten der Erlebenswelt eines Patienten verstanden werden und nicht in gruppendynamischen Prozessen reflektiert zu werden brauchen. Hierbei wird die Vielfalt der Fantasien als erweiterter Möglichkeitsraum eines vorgestellten Patienten verstanden. Das ermöglichte u. a. Verständnis und Auflösung der von Patienten ausgehenden Todesängste, die unbearbeitet zur Quelle von depressiv getönten Arbeitsstörungen und Aggressionen im Behandlungsteam wurde. Siehe Näheres hierzu in: Drees, A.: „Prismatische Balint-Gruppen.” In: Balint-Journal 2001; 3: 69 - 73 und: Prismatische Balint-Gruppen; Pabst Science Publishers, Lengerich 2002.

Prof. Dr. med. Alfred Drees

Friedrich Ebert Str. 26

47799 Krefeld

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